Mehr Zivilisation durch Importfrauen

Liebe macht die Seele heil: An der Schaubühne beschäftigt sich Thomas Ostermeier in seiner Inszenierung von Christoph Nußbaumeders Stück „Liebe ist nur eine Möglichkeit“ mit der Krankheit Mann. Die Umsetzung auf der Bühne ist brillant, doch der intellektuelle Überbau riecht nach alter Herrensocke

von ESTHER SLEVOGT

Ja, das sind echte Männerwelten! Speckige Ledersofas, klebrige Tische mit leeren Bierflaschen. Und natürlich ein Fernsehgerät, in dessen dumpfen Tiefen Mann nach Feierabend masturbierend versacken kann. Wenn mal die Sau rausgelassen werden soll, wird im Rudel der örtliche Puff heimgesucht – was zur Befriedigung sämtlicher Freiheitsgelüste scheinbar völlig ausreichend ist. Wenn sie nicht malochen, hängen die Herren saufend und Dart spielend in einer Kneipe ab. Wo die wilden Kerle wohnen eben.

Dorthin führt uns Thomas Ostermeier mit seiner Uraufführung von Christoph Nußbaumeders Stück „Liebe ist nur eine Möglichkeit“, das irgendwo in der Provinz spielt, die der 28-jährige Dramatiker und auch sein Regisseur aus eigener Anschauung kennen. Frauen spielen in dieser Welt keine Rolle. Sie treten höchstens als „nackte Weiber“ aus der Bild-Zeitung oder als gefügige Ehefrauen in Erscheinung. Was nicht heißt, dass hier nicht von der erlösenden Macht der Liebe geträumt würde! Und so kommt eines Tages ein elfenhaftes Wesen mit dem sprechenden Namen Graziella in dieser stickigen Männerwelt an.

So zumindest will es der Plot des Dramas, in dessen Zentrum ein etwas beschränkt lächelnder Fräser namens Bernhard (David Ruland) steht, der zwar nie das Lesen und Schreiben lernte, aber das hat, was man gemeinhin ein gutes Herz zu nennen pflegt. Und um dieses Herz ein wenig voller zu machen, bestellt er sich eines Tages aus dem Katalog eine asiatische Frau: Graziella eben, die von den Philippinen stammt und von der russischstämmigen Agenturchefin Swetlana (Bettina Hoppe) persönlich angeliefert wird. Swetlana, im Drama selbst als Figur nur grob skizziert, wird in der Schaubühne mit Passagen aus dem „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ der Extremfeministin Valerie Solanas scharf gemacht. „Männlichkeit ist eine Mangelkrankheit, und Männer sind seelische Krüppel!“, skandiert sie – und scheint damit dem Regisseur aus der Seele zu sprechen.

Ohnehin scheint Ostermeier das florierende Frauenimportunternehmen weniger als Ausbeutung denn als Therapie für die Krankheit Mann zu verstehen. Denn mit Graziellas Ankunft legt sich ein zarter Zauber über die eben noch so trostlose Welt. Bernhards geifernde Arbeitskollegen erliegen dem feenhaften Charme der jungen Frau (gespielt von der deutsch-koreanischen Schauspielerin Nicola Gründel), sein Nazi-Neffe kehrt zurück in den Schoß der Zivilgesellschaft. Selbst der tumbe Bernhard beginnt ein wenig zu leuchten. Bei seiner Hochzeit mit Graziella trägt Vera, die zickige Frau von Vorarbeiter Günther, sogar stilecht ein philippinisches Volkslied vor (wunderbar: Cathlen Gawlich).

Doch die Krankheit Mann ist natürlich nicht therapierbar, und es kommt, wie es kommen muss: Bald herrschen wieder Geilheit und beschränktes Machotum. Die zarte Liebe erleidet Schiffbruch, und Bernhard bringt einen schwulen Kollegen um, der ihm zu nahe kam. Ein Happyend gibt es trotzdem: In seinen zehn Jahren Haft lernt Bernhard das Lesen und Schreiben und wird auch noch eine Art Dichter, der Liebesbriefe für seine verlorene Graziella abfasst.

Man folgt dem manchmal ins Unwirkliche verdichteten Realismus dieses Abends, wie man einen Kitschroman liest – immer wieder mit dem Helden und seiner zarten Liebe fiebernd. Entzückt von der Grazie der Graziella und der Fiesheit der Kerle drum herum. Allerdings funktioniert die Begeisterung nur bei abgeschaltetem Denkorgan. Und das liegt nicht nur an manch unwahrscheinlicher Wendung und knirschender Dramaturgie.

Die Aufführung hat das Problem vieler Ostermeier-Inszenierungen: Sie sind handwerkliche Meisterwerke voll wunderbarer Einfälle, kranken aber an einem intellektuellen Überbau, der nach alten Herrensocken riecht. An einer seltsam unreflektierten Sehnsucht nach heilen Strukturen, liebenden Müttern und sanftmütigen Frauen, die nicht vom Virus der Emanzipation verdorben sind. Nach Männern, die keine emotionalen Krüppel sind. Bloß, dass Ostermeier bei seinen Versuchen selten weiter als sein Held Bernhard kommt, der sich aus dem Katalog eine Filipina bestellt, um seine Probleme zu lösen.

Weitere Vorstellungen: 21. und 25./26. Oktober, 20.00 Uhr