Viele Vorschläge, wenig Geld

Nach dem Tod des kleinen Kevin überbieten sich Politiker mit Ideen für mehr Kinderschutz. CSU will Eltern unter Androhung von Strafen zwingen, ihre Kinder regelmäßig zum Arzt zu bringen. Kinderschutzbund fordert mehr Geld für Prävention

VON COSIMA SCHMITT

Was schützt Kinder wirklich vor gleichgültigen oder brutalen Eltern – neue Gesetze oder bessere Warnsysteme? Nachdem immer mehr Fälle von Kindern publik werden, die durch die Schuld der Eltern starben, überbieten sich jetzt Politiker mit Vorschlägen.

Bayern etwa will die bislang freiwilligen Vorsorgeuntersuchungen für kleine Kinder zur Pflicht machen. „In vielen Fällen könnten Verwahrlosung und Misshandlungen damit erkannt werden“, sagt Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). Auch Bremen und Hessen plädieren für Pflichtuntersuchungen.

Stoibers CSU-Kollege Johannes Singhammer, familienpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, wartet auch gleich mit einem Vorschlag auf, wie Eltern zur Einhaltung dieser Pflicht veranlasst werden könnten: Er halte es „in schweren Fällen für notwendig, das Kindergeld zu kürzen“. Allerdings bezweifeln Experten, dass dies verfassungsrechtlich möglich ist.

Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, fordert einen grundsätzlichen Gesinnungswandel: „Das Recht des Kindes sollte gegenüber dem Recht der Eltern mehr Gewicht bekommen“, sagte er der taz. Es wäre hilfreich, wenn es leichter würde, Untersuchungen durchzusetzen. Gesetzliche Änderungen seien dafür „erwägenswert“.

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) indes verteidigte ihr Konzept eines „Frühwarnsystems“. Anders als Singhammer will sie Eltern nicht mit Geldentzug drohen. Vielmehr will sie Risikofamilien frühzeitig ausmachen und ihnen Berater zur Seite zu stellen. Wenn etwa Ärzte schon bei der Entbindung vermuten, dass die Familie überfordert sein könnte, sollen öffentliche Stellen aktiv werden. 10 Millionen Euro will von der Leyen für solche Programme zur Verfügung stellen.

Den kleinen Kevin aus Bremen allerdings hätten weder die CSU-Pläne noch von der Leyens Konzept gerettet. Denn der Junge erlitt schwerste Misshandlungen und starb in der elterlichen Wohnung, obwohl er unter Aufsicht der Behörden stand – die aber sein Leiden und seinen Tod nicht verhinderten.

Ohnehin weiß die Fachwelt nicht erst durch medienpräsente Extremfälle, wie gravierend das Problem der Kindesmisshandlungen ist. Experten schätzen, dass 25.000 bis 100.000 Kinder stark vernachlässigt oder verprügelt werden. So verwundert es nicht, dass in der Debatte auch drastische Worte ertönen. Christa Müller etwa, Ehefrau Oskar Lafontaines, handelte sich jetzt viel Kritik ein mit der Aussage, man müsse mit staatlicher Familienberatung „die Reproduktion des asozialen Milieus“ begrenzen. „Die Linkspartei zeigt damit ihre wahre Wertschätzung derjenigen, die sie vorgibt zu vertreten“, sagte die SPD-Politikerin Cornelia Hoffmann-Bethscheider.

Kinderschutzbund-Chef Hilgers spricht nicht von „asozialen Milieus“. Aber auch er sieht einen Zusammenhang zwischen Misshandlungen und gesellschaftlicher Situation: „Über 90 Prozent der Misshandlungen finden in armen Familien statt.“

Offen ist noch, ob die jetzt so vieldiskutierten Politpläne überhaupt greifen, wenn sie auf der anderen Seite von Einsparungen in den Kommunen konterkariert werden. Berlin etwa, die Hauptstadt gemeldeter Kindesmisshandlungen, schraubte seine Ausgaben für Jugendhilfe drastisch zurück. Zusätzliche Betreuer, die sich Problemfamilien widmen, sind so nicht finanzierbar. Dies sieht Hilgers auch als Manko der Von-der-Leyen-Pläne: „Ich finde es ja gut, wenn die Familienministerin zusätzliche 10 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Aber das ist viel zu wenig für die Größe der Aufgabe.“