Fall Kurnaz: Skandal bleibt Skandal
: KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Es ist völlig offen, ob sich die Misshandlungsvorwürfe jemals werden klären lassen, die Murat Kurnaz gegen deutsche Soldaten erhoben hat. Derzeit scheint Aussage gegen Aussage zu stehen. Wenn weitere parlamentarische Untersuchungen daran nichts ändern können, dann gilt auch in einem solchen Fall: im Zweifel für die Angeklagten. Zunächst aber muss alles getan werden, was überhaupt möglich ist, um die Wahrheit herauszufinden. Und zwar öffentlich.

Es gibt sehr gute Gründe, den Krieg gegen Afghanistan und den Einsatz deutscher Elitesoldaten dort für einen schweren Fehler zu halten. Das war jedoch eine politische, keine militärische Entscheidung. Die Fürsorgepflicht gegenüber Truppen, die an Kampfeinsätzen beteiligt sind, gebietet es, Details dieser Einsätze vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. Andernfalls könnte das Leben der Beteiligten zusätzlich gefährdet werden.

Aber was für militärische Planungen gilt, gilt nicht für Rechtsbrüche. Soldaten stehen nicht über dem Gesetz. Auch Elitesoldaten nicht. Sollten die Angaben von Kurnaz sich als richtig erweisen, dann wären raunende Hinweise auf Sicherheitsprobleme und Staatsräson, mit denen Geheimhaltung begründet würde, nur andere Worte für Vertuschung. Murat Kurnaz kann nicht alle seine Behauptungen beweisen – aber er ist bisher bei keiner einzigen Lüge ertappt worden. Im Gegenteil: Das Verteidigungsministerium hat jetzt zwar nicht die angeblichen Misshandlungen, wohl aber Kontakte deutscher Soldaten zu dem Gefangenen in Afghanistan bestätigt. Außerdem decken sich seine Berichte über das US-Gefangenenlager Guantánamo mit Informationen aus anderen Quellen.

Die Zustände dort erinnern an Folterkammern einer Diktatur. Unter diesen Umständen wäre es ein noch größerer Skandal als jede einzelne Misshandlung, sollte die Haftzeit von Kurnaz tatsächlich nur deshalb um Jahre verlängert worden sein, weil deutsche Regierungsstellen den Gefangenen nicht zurück in Deutschland haben wollten. Nach all dem, was seit langem über die Zustände in Guantánamo bekannt ist, wäre dies eine schwere Menschenrechtsverletzung. Auch dann, wenn alles ganz legal zugegangen ist.