Wenn die Masse kritisch wird

RAD-SPONTIS Die Critical-Mass-Bewegung wirbt fürs Fahrradfahren

■ 37, ist Industriekaufmann. Seit einem Jahr pendelt er dreimal die Woche von Rotenburg nach Bremen – 42 km pro Tour mit dem Rad. Er sieht sich als „nicht politisch interessiert“.

taz: Herr Silberstein, was ist überhaupt eine „Critical Mass“?

Stefan Silberstein: Eine Critical Mass, wie sie nun seit längerem auch in Bremen stattfindet, ist eine nicht organisierte Fahrradtour. Es treffen sich Leute, anscheinend zufällig, und fahren zusammen Rad. Gemäß Straßenverkehrsordnung dürfen Radfahrer ab 16 Personen zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren und müssen Radwege nicht benutzen, selbst wenn diese benutzungspflichtig sind. Genau dieses Recht nutzt die Critical Mass aus. In Hamburg treffen sich allmonatlich über 1.000 Radfahrer zu diesen Touren.

Wie läuft so eine Aktion ab?

Ein Treffpunkt sickert durch und man fährt da einfach hin, jeweils am letzten Freitag des Monats gegen 19 Uhr. Irgendwann fängt ein Klingelkonzert an und die Masse setzt sich in Bewegung. Gesteuert wird sie nach dem Prinzip der Schwarmintelligenz, einen Chef hat sie nicht. Wer vorne fährt, gibt die Richtung vor.

Was ist anders als bei einem Flashmob oder einer Demo?

Die Critical Mass ist ein nicht organisiertes Spektakel in Form einer privaten Radtour, mit dem Ziel, dem Verkehrsmittel Fahrrad eine größere Popularität zu verschaffen. Demonstrationen haben einen Veranstalter, das hat die Critical Mass nicht. Sie ist keine Organisation und hat darum also weder Mitglieder noch eine Verwaltung oder eine Kasse. Sie wird getragen von Einzelpersonen, die nichts miteinander verbindet als die persönliche Freundschaft und das gemeinsame Interesse: Fahrrad fahren. Bei einem Flashmob geht es ja um Aufmerksamkeit um jeden Preis. Die Critical Mass ist da eher auffällig durch die Masse und der Spaß steht im Vordergrund – jedenfalls für mich.

Was will die Bewegung?

Sie will zeigen, dass Fahrräder auch Teil des Verkehrs sind. Fahrräder haben dieselbe Berechtigung am Verkehr teilzunehmen wie jeder andere Verkehrsteilnehmer. Viele wissen dies nicht und bedrängen, beleidigen, bedrohen und gefährden Fahrradfahrer, wenn sie zum Beispiel ihr Recht in Anspruch nehmen, kaputte Radwege zu meiden und auf die Fahrbahn auszuweichen.

Sind Sie ein Gegner des Autos?

Ich persönlich bin kein Autogegner – ich bin Pro-Fahrrad. Es ist für mich unverständlich, dass Kinder für kurze Schulwege, die locker zu Fuß oder mit dem Rad bewerkstelligt werden können, von Mutti und Vati mit dem Auto gefahren werden. Ich habe festgestellt, dass selbst Strecken über 40 Kilometer per Muskelkraft zu bewerkstelligen sind. Ich bin in meinem Leben nicht so fit gewesen wie jetzt, wo ich vermehrt mit dem Rad meine alltäglichen Wege absolviere. INTERVIEW: JAN ZIER