Die Reisen des schönen Jorge

Heute gibt der Oscar-gekrönte Songwriter Jorge Drexler aus Uruguay in der Kreuzberger Passionskirche sein erstes Konzert in Deutschland. Seine Space-Balladen verbinden so elegant wie subtil lateinamerikanische Rhythmen und elektronische Sounds

VON DANIEL BAX

Im Februar vergangenen Jahres bekam Jorge Drexler einen Oscar für den „besten Filmsong“ zugesprochen. Der Song war „El Otro Lado del Rio“ aus dem Film „The Motorcycle Diaries“ (zu Deutsch: „Die Reise des jungen Che“) des brasilianischen Regisseurs Walter Salles und es war das erste Mal, das damit ein spanischsprachiger Song in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde. Weil aber die Organisatoren der Oscar-Zeremonie offenbar glaubten, dass kaum einer den Sänger und Komponisten aus Uruguay kennen dürfte oder sie sonst einen Grund sahen, ihn nicht dem Gala-Publikum zumuten zu wollen, ließen sie sein Stück von Antonio Banderas und Carlos Santana aufführen, die es in einer ziemlich bombastischem Version vortrugen. Jorge Drexler rächte sich dafür auf seine Weise: Als er den Preis überreicht bekam, sang er an Stelle einer Dankesrede einfach ein paar Zeilen seines Liedes. Das hatte Stil.

So subtil wie sein Auftreten sind auch die Songs, die Jorge Drexler schreibt. Geboren in Uruguay, wohin seine deutsch-jüdischen Vorfahren vor dem 2. Weltkrieg emigrierten – daher der deutsch klingende Nachname –, wird er inzwischen auch in Argentinien, Brasilien und Spanien für seine raffinierten Kompositionen und seine poetische Ader gerühmt. Dabei war ihm eine ganz andere Laufbahn zugedacht – zwar wuchs der junge Jorge mit Musik auf und lernte schon früh Klavier, Gitarre und Kompositionstechniken kennen. Dennoch durchlief er, wie es der Familientradition entsprach, zunächst einmal eine Ausbildung zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, bevor er sich der Musik verschrieb.

Nachdem er aber Anfang der Neunziger mit seinen ersten musikalischen Gehversuchen in seiner Heimatstadt Montevideo schon auf so ein überwältigendes Echo stieß, ließ sich Jorge Drexler 1995 zu einem Umzug nach Madrid überreden. Es hat ihm nicht geschadet, sein Ruhm hat sich seitdem in der ganzen spanischsprachigen Welt verbreitet – nicht zuletzt durch einen Song, den er für eine preisgekrönte TV-Reklame für eine Buchstabensuppe schrieb, die im argentinischen Fernsehen lief.

Dass Jorge Drexler ein Minimalist ist, lässt sich schon an den Titeln seiner Alben ablesen: von „vaivén“ (1996) über „llueve“ (1998) bis zu „frontera“ (1999) und „sea“ (2001), stets bevorzugt er kurze Buchstabenfolgen, und so hält er es auch mit der Musik nach dem „Weniger ist mehr“-Prinzip. Seine Stücke basieren meist auf der schlichten Kombination von Stimme und Gitarre, dezent eingesetzte Streicher, Percussion, Klavier und elektronische Gimmicks runden das Klangbild ab. Dezent verwebt er lateinamerikanische Einflüsse und Rhythmen wie milongas, zambas und candombe in die Textur seiner Kompositionen, manchmal greift er auch auf Samples von Wellen- und Windgeräuschen zurück. Doch seine Songs plätschern nur scheinbar so leicht dahin, beim mehrmaligen Hören entfalten sie eine enorm suggestive Wirkung. Elegant und ätherisch, erinnert das an die hohe brasilianische Songwriter-Kunst eines Caetano Veloso, mit seiner Offenheit für elektronische und akustische Spielereien aber auch an experimentelle Naturen wie Brian Wilson oder eine Band wie Radiohead (von denen er für sein aktuelles Album ein Stück gecovert hat). Es sind angenehm unaufdringliche Space-Balladen von einem fremden, seltsamen Stern.

Auf ein Oeuvre von mehr als sieben Alben blickt Jorge Drexler inzwischen zurück, und namhafte Kollegen wie Pablo Milanese, Victor Manuel, Ana Belén oder Elis Regina haben seine Songs schon interpretiert. Doch außerhalb der spanischsprachigen Welt nimmt man erst jetzt Notiz von ihm. Sein letztes Album, „Eco“, das vor zwei Jahren erschien, war das erste, das auch außerhalb seines bisherigen Aktionsradius veröffentlicht wurde. Heute kommt Jorge Drexler das erste Mal für ein Konzert nach Berlin, es ist seine Deutschland-Premiere. Hier stellt er nun sein neues Album „12 Segundos de Oscuridad“ vor, dass er mit Musikern des Bajofondo Tango Club aus Buenos Aires eingespielt hat – einem Kollektiv, das sich mit seinen innovativen Verbindung zwischen argentinischen Traditionen und elektronischer Moderne schon ebenso hervorgetan hat wie Drexler selbst. Tango-Einflüsse darf man auf „12 Segundos de Oscuridad“ dennoch nicht erwarten. Aber dieses Werk sollte es Jorge Drexler ermöglichen, aus dem Dunstkreis der Liebhaberzirkel ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit vorzustoßen.

Konzert heute um 20 Uhr in der Passionskirche am Marheinekeplatz