AUF VERNISSAGENTOUR: ALLE KENNEN SICH, NUR MICH NICHT
: Vielversprechend klingende Namen

Ausgehen und rumstehen

Das „Direktorenhaus“ gehört definitiv zu den wohlklingendsten Veranstaltungsortsnamen, die mir in den vergangenen Jahren in Berlin untergekommen sind. Direktorenhaus! Ich stellte mir lange, mit dem Holz ausgestorbener Tropenbaumsorten vertäfelte Gänge vor, und Salons mit düsteren Tapeten, wo bärtige Männer mit Zylindern auf langen Papierstreifen die frisch eingetickerten Daten der Börsen von Leipzig und Mailand studieren. Die Adresse, „Am Krögel 2“, hörte sich zwar eher nach Hannover an, aber macht ja nichts.

Vor der Tür des echten Direktorenhauses hampelte eine acht Meter hohe, neonleuchtende Affenmarionette umher. Das mit den Gängen stimmte, allerdings wucherte bloß Sperrholz von der Decke, und die Räume waren proppenvoll mit Kunsthipstern und Hipsterkunst. Viel Ornament war zu sehen, viel Porzellan, Dioramen mit Fasanen, Holzschnitte mit Ligne-Claire-Motiven. Weihrauch schwingende Nasenmenschen liefen im Gänsemarsch durch die Menge, barock verkleidete Damen spielten mit riesigen Spielkarten vor changierenden Tapetenmotiven. Wie bei allen Vernissagen hatte ich den Eindruck, alle kennen sich gegenseitig, nur mich nicht.

Wie nachgerade normal wirkten dagegen die Besucher der von Jim Avignon ausgerichteten Friendly Capitalism Lounge, es kommt eben immer auf die Fallhöhe an. Leider war in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg schon nicht mehr viel los, hätte man die Startzeit von 18 Uhr am Ende ernst nehmen sollen? Auch waren diverse befreundete Menschen, die ich anzutreffen erwartete, gar nicht da. Und warum das Musikprogramm ins Eschloraque verlegt wurde, muss ich hoffentlich auch nicht verstehen. Dort unten war es stickig, das Publikum uninteressiert – sogar als die Performerin sich elektrische Bongos so um den Hals hing, als hätte sie von Neonlicht umrandete Brüste. Nachdem ich zum Telefonieren rausgegangen war, durfte ich nicht wieder rein, weil es zu voll sei.

Durch den strömenden Novemberregen flüchtete ich also gen Heimat, ins „Mittelpunkt“. Es war, und das ist in Neukölln nun wirklich eine Art Leistung, fast leer. Das Ambiente, grau gestrichene Wände, ein rosafarbener „heartbreaker“-Schriftzug – war irgendwelchen 80ern aus einem Paralleluniversum nachempfunden. Bestimmendes Raumelement war ein langer, hoher Tisch, an dessen anderen Ende drei Mädchen in bauchnabelhohen Hosen saßen und die anderen Gäste zeichneten. Die Drinks wurden mit Salatgurke anstelle von Zitronen serviert, ein Cocktailtrend, der mir erstmals vor rund einem Jahr begegnete und mir damals so einleuchtend und logisch erschien, dass ich schon für den Karneval der Kulturen 2010 eine flächendeckende Versorgung mit Cucumbirinhas erwartet hatte. Stattdessen trank ich noch genau ein einziges Mal Gurke und jetzt halt hier – so viel zu meinen Karriereaussichten als Trendscout.

Am Samstag mied ich bewusst das „Nacht und Nebel“-Festival, eine weitere Neuköllner Veranstaltungsrallye neben „48 Stunden Neukölln“ und der „Weserrakete“. Wieso muss sich ein Trendbezirk mit derart schmierigen „Nacht der langen Dings“-Abklatschen profilieren? Hatte Mitte damals so was nötig? Es gab sogar ein Taxi-Shuttle.

Ich landete stattdessen erst in einem mit Gummipolstern verkleideten Kellerraum, wo ein Franzose vor 20 Leuten ein 8-Bit-Musik-Liveset spielte (da hätte ich auch in Neukölln bleiben können) und später an einem Kickertisch. Auf dem Nachhauseweg passierte ich das frisch eröffnete „My name is Barbarella“ an der Skalitzer Straße. Netter Versuch, der Name.