„Jetzt kommt der politische Kampf“

Linkspartei-Finanzexperte Wechselberg lehnt ein „Angstsparen“ ab. Und ruft die armen Bundesländer zur Revolte auf

taz: Herr Wechselberg, wir alle müssen jetzt sparen. Sind Sie gestern aus Karlsruhe nach Berlin zurückgetrampt?

Carl Wechselberg: Nein, ich habe meinen Flug – natürlich Touristenklasse – selbst bezahlt. Aber um Sie zu beruhigen: Wir haben uns mit mehreren das Taxi zum Flughafen geteilt.

Das Verfassungsgericht will Berlin keinen Cent Bundeshilfe zugestehen. Hat es Recht?

Ich finde: nein. Das Urteil lautet ja sinngemäß: Bleibt weg, euch geht’s noch viel zu gut – ihr bekommt Kredite und seid handlungsfähig. Unser Ansatz war allerdings ein anderer. Wir haben nicht geklagt, um Unterstützung bei den laufenden Ausgaben zu bekommen, sondern um die Landesschulden zu drücken und die Zinsspirale durchbrechen zu können. Dazu sagt das Gericht: Das ist Kaffee von morgen, und den kochen wir nicht.

Allein in diesem Jahr bezahlt Berlin 2,5 Milliarden Euro Zinsen. Muss Rot-Rot jetzt mit der Axt kürzen, zum Beispiel Unis und Opernhäuser schließen?

Nein, jetzt in Angstsparen zu verfallen wäre völlig falsch. Nach wie vor gilt: Berlin schafft es nicht, sich unter zumutbaren Bedingungen selbst aus seiner Notlage zu befreien. Beim Landespersonal hat Berlin den härtesten Solidarpakt bundesweit abgeschlossen, bei den Investitionen liegen wir verfassungswidrig niedrig. Bleibt das, was Berlin für Unis, Schulen, Kitas und Theater ausgibt. Dies nun kaputt zu sparen wäre absurd.

Warum? Braucht Berlin zwei Zoos oder drei große Unis?

Darum geht es gar nicht. Die Zinsbelastung ist so immens, dass jede Amputation, egal wie drastisch sie klingt, nur aufschiebende Wirkung hätte. Ein Beispiel: Wenn Sie die Humboldt-Universität schließen, spart das Land einen Jahreszuschuss von rund 300 Millionen Euro. Damit können Sie gerade mal das Anwachsen der Zinsen von einem Jahr ins andere kompensieren – ohne auch nur 1 Euro in den Abbau der Schulden stecken zu können. Selbst wenn Sie also alles verkaufen, noch brutaler sparen und außerdem versuchen, durch Studiengebühren oder höhere Gewerbesteuern Einnahmen zu generieren – aus der Zinsfalle kommt Berlin nicht raus.

Was bedeutet das Urteil für den Kurs von Rot-Rot?

Wir halten unseren Sparkurs, den wir für zumutbar halten, weiter durch. Aber wir werden nicht kürzen um des Kürzens willen. Es wird also zum Beispiel keinen Verkauf von Wohnungsgesellschaften geben.

Ihr „Weiter so“ bedeutet: Die Verschuldung der Stadt steigt, und sie steigt immer schneller.

Richtig. Das Schuldenproblem bleibt. Karlsruhe interessiert sich nicht dafür und hat deutlich gemacht, dass es seine Meinung auf lange Sicht nicht ändert. Den juristischen Kampf haben wir verloren, jetzt gilt es, den politischen Kampf zu führen.

Nämlich wie?

Die armen Bundesländer müssen dem Bündnis der reichen Südländer eine eigene Koalition entgegensetzen. Wenn wir das nicht tun, machen sie einen nach dem anderen fertig. Und wir landen in einer Republik, in der der Süden wunderbare Lebensverhältnisse bietet – und Norden und Osten in die Röhre schauen.

Angenommen, es lässt sich ein solches Bündnis schmieden – wie kann es gegen die Reichen punkten?

Das ist ein politischer Prozess. Die Nehmerländer müssen auf allen Ebenen den Druck erhöhen. Bei der Föderalismusreform müssen wir den reichen Ländern, die Sparkommissare fordern, eine klare Abfuhr erteilen. Dann muss der Länderfinanzausgleich die Interessen der Armen stärker berücksichtigen. Und, nicht zuletzt, müssen wir der Bundesregierung Dampf machen. Eine Unternehmensteuerreform, die Firmen entlastet, aber Länder belastet, ist aus Berliner Sicht noch nicht mal einer Debatte wert. INTERVIEW:
ULRICH SCHULTE