Das dünne Eis des Nikotins

Das niedersächsische Bad Zwischenahn ist die erste deutsche Nichtraucherstadt

Medienvertreter aus aller Welt haben sich auf Bad Zwischenahn gestürzt

Als der rumpumpelige Bahnhof Gera sich in den Neunzigerjahren zum „ersten deutschen Nichtraucherbahnhof“ ernannt hatte, schmunzelten manche Raucher dort beim Umsteigen von einem Raucherabteil ins andere über die Albernheit des Einfalls, Rauchern an der frischen Luft das Rauchen zu verbieten. Inzwischen ist den umsteigenden Rauchern das Schmunzeln vergangen. Der Siegeszug der Nichtraucher fährt unter vollem „Dampf“ voraus. Selbst Iren, Italiener und Portugiesen haben sich widerstandslos überrollen lassen und gelernt, wie man nikotinfrei zecht und spricht und umsteigt.

In strafgesetzgeberischer Hinsicht hinkt Deutschland dem globalen Trend noch hinterher, aber eine kleine niedersächsische Gemeinde ist jetzt mit gutem Beispiel selbst den fortschrittlichsten Staaten der Europäischen Union vorausgeprescht: Ab dem 1. Januar 2007 wird ganz Bad Zwischenahn eine Nichtraucherzone sein. Das im Gemeinderat nahezu einstimmig beschlossene Rauchverbot erstreckt sich nicht allein auf Gaststätten, Büros und öffentliche Räume, sondern über sämtliche Freiflächen hinaus auch auf Privatwohnungen.

„Uns ist schon allen klar, dass wir uns hier, juristisch gesehen, auf dünnes Eis begeben haben“, sagt Henner Süderhüsken, der Vorsitzende des örtlichen Nichtraucherverbands und strählt dabei etwas selbstgefällig seinen rotgrauen Kinnbartflaum. „Aber der Widerhall, den die Entscheidung hier in der, sag ich jetzt mal, Eingeborenenschaft gefunden hat, ist positiv, und was das andere betrifft, also, fremdenverkehrsmäßig gesehen ist die Sache eingeschlagen wie eine Bombe. Es gibt plötzlich Buchungen von Nichtrauchern aus Florida, Helsinki und sogar aus Kinshasa“, freut sich Süderhüsken diebisch.

Bad Zwischenahn war bislang nicht sehr viel mehr als ein beschauliches Idyll für erholungsbedürftige Minigolfer. Der weltweit widerhallende Rummel um diese erste Nichtraucherstadt der Welt scheint die Stadtväter zu überfordern. Medienvertreter aus aller Welt haben sich auf Bad Zwischenahn gestürzt, von CNN bis al-Dschasira, und trotzdem gibt es bis heute aus der Schnuckelstadt keine offizielle Stellungnahme zu dem revolutionären Beschluss, das Rauchen in Bad Zwischenahn generell und flächendeckend zu verbieten.

Als einziger Ansprechpartner der Medien schwankt immer wieder Henner Süderhüsken aus seinem reetgedeckten Campingbus am Zwischenahner Meer heraus und stellt sich den immerselben Reporterfragen. „Wie wollen Sie verhindern, dass die Einwohner und Gäste Ihrer Stadt heimlich in ihren vier Wänden rauchen?“, fragt der Al-Dschasira-Korrespondent in blendendem Deutsch.

„Wir Nichtraucher“, sagt Süderhüsken, „respektieren die Privatsphäre der Raucher. Wir wollen bloß wissen, ob sie im letzten Vierteljahr geraucht haben. Um das herauszufinden, muss ein guter Arzt jeweils ein Stück Spucke oder ein Härchen der Einwohner unters Mikroskop legen. Und wenn sich herausstellt, dass einer gequarzt hat, fliegt er raus.“ – „Was heißt das?“ – „Das heißt, dass er einen Stadtverweis bekommt.“ – „Für wie lange?“ – „Für immer.“ – „Was geschieht mit den Besitztümern der Delinquenten?“ – „Die werden beschlagnahmt.“ – „Von wem?“ – „Von uns.“ – „Aha. Und Sie heißen?“ – „Henner Süderhüsken.“ – „Das sieht Ihnen ähnlich.“ – „Wieso?“ – „Weil Sie so aussehen.“

Das stimmt. Henner Süderhüsken sieht tatsächlich so aus wie einer, den es nach dem Eigentum exilierter Raucher gelüstet. Und es wäre allmählich an der Zeit für eine Grundsatzerklärung des Bürgermeisters. Die Öffentlichkeit brennt vor Ungeduld. GERHARD HENSCHEL