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Morde und andere Gewalttaten im Irak reißen nicht ab. Sunnitische und schiitische islamische Rechtsgelehrte beraten in Mekka über einen Ausweg aus der Krise

KAIRO taz ■ Im Weißen Haus gibt man sich betont standhaft: „Unsere Strategie im Irak ist es zu gewinnen, selbst wenn der Preis hoch ist“, ließ der Präsidentensprecher Tony Show in Washington trotzig verlauten. Der Grund seines Auftritts im Namen des Präsidenten George W. Bush kurz vor den Zwischenwahlen zum US-Kongress: Der Oktober droht der bisher tödlichste Monat für die US-Truppen im Irak seit zwei Jahren zu werden. Über 70 US-Soldaten sind in weniger als drei Wochen umgekommen.

Gleichzeitig reißen die ethnisch und religiös motivierten Morde unter den Irakern nicht ab. Jeden Tag werden dutzende irakischer Leichen aufgefunden, die Augen verbunden, die Körper zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Sie sind Opfer von Todesschwadronen, die in vielen Teilen des Landes operieren.

Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem 3.000 irakische Polizisten aufgrund ihrer Nähe zu den Todesschwadronen in den letzten Tagen vom Dienst suspendiert worden sind. Es wird schwieriger, den Überblick zu behalten, welche Privatarmee wem zugerechnet wird.

Hochrangige US-Militäroffiziere sprechen davon, mindestens 23 verschiedene Milizen identifiziert zu haben, einige sunnitisch, aber die meisten schiitisch. Viele sind Abspaltungen der Mahdi-Armee des Schiitenführer Muktada al-Sadrs, der keine Kontrolle mehr über die lokalen Warlords zu haben scheint.

Aber auch die radikalen Islamisten auf sunnitischer Seite sind nicht untätig. Der Rat der Mudschaheddin, dem auch al-Qaida nahe Gruppen angehören, hat in Balad, einem Gebiet nördlich von Bagdad, selbstbewusst ein eigenes Kalifat ausgerufen.

Gerade bei den Nachbarn wächst die Angst vor dem irakischen Chaos. „Die Regierung ist konfessionell begrenzt, Sicherheit ist ein Fremdwort, das Rechtsystem ist politisiert, die Grenzen werden ignoriert, und die Wirksamkeit von Regierungserklärungen reicht nicht über die Grüne Zone in Bagdad hinaus“, kommentiert die saudische Tageszeitung Al-Riyadh.

In dieser Lage machen sich derzeit höchst unterschiedliche Gruppierungen Gedanken über einen Ausweg. Im saudischen Mekka kamen am Donnerstag sunnitische und schiitische islamische Rechtsgelehrte zu einem zweitägigen Treffen zusammen, um eine gemeinsame Formel zu finden, den Bürgerkrieg im Irak zu verhindern. Die Religion, nicht die Politik soll dabei im Vordergrund stehen, lässt der Organisator, die „Organisation Islamischer Länder“ verlauten.

Die arabische Tageszeitung Al-Hayat zitiert einen hochrangigen beteiligten „muslimischen Diplomaten“, dass in Mekka die schiitischen-sunnitischen Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und das gegenseitige Töten in Fatwas verboten werden soll.

Doch selbst die Zeitungen des Gastgebers Saudi-Arabien bleiben skeptisch. „Versöhnung kann es zwischen zwei verfeindeten Beduinenstämmen geben, aber dazu ist ein dritter Stamm nötig, um zu vermitteln, und genau diese dritte Partei gibt es im Fall Irak nicht“, kommentiert Al-Riadh. Sowohl die Besatzungstruppen als auch die Nachbarländer seien zu sehr involviert, glaubt das Blatt. Es gesteht den islamischen Rechtsgelehrten dennoch eine Rolle zu, „wenn sie konkrete Schritte vorschlagen“.

Einen anderen Ansatz hat Salah Mutlaq, ein prominenter sunnitischer Politiker und Mitglied des irakischen Parlaments. Er glaubt nur noch mit diktatorischen Mitteln der Lage Herr zu werden und propagiert eine Fünf-Mann-Junta und den Ausnahmezustand, die die Regierung al-Maliki ablösen soll.

Gleichzeitig trifft sich in Washington die sogenannte Irak-Studiengruppe unter der Führung von Ex-US-Außenminister James Baker, um eine Exitstrategie auszuarbeiten. Bakers Vorschlag: Entgegen bisheriger US-Politik sollen der Iran und Syrien in eine Lösung einbezogen werden, bevor ein schrittweiser Rückzug der US-Truppen eingeleitet werden könne. Einen endgültigen Bericht wird die Gruppe erst nach den Zwischenwahlen abliefern. Baker warnte bei einer Rede vor dem „Word Affairs Council“ davor, ein „magisches Rezept“ zu erwarten: „Zu glauben, dass wir uns etwas ausdenken können, dass das Irak-Problem löst, ist Wunschdenken.“

KARIM EL-GAWHARY