Ostseedampfer unter Beschuss

Vor Usedom wird ein Ausflugsdampfer von polnischen Behördenbooten beschossen. Nun streiten die Beteiligten, ob es sich um Leuchtmunition oder scharfe Munition handelte und wer im Unrecht war. Hintergrund könnte eine Steuerstreitigkeit sein

AUS WARSCHAU JAN MATTERN

Ein Zwischenfall auf der Ostsee, bei dem der polnische Zoll Warnschüsse gegen ein deutsches Ausflugsschiff abgegeben haben soll, droht die ohnehin schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen weiter zu belasten. Was genau am Dienstag in den Gewässern vor der Insel Usedom passierte, wurde in den Medien beider Länder mit jeweils unterschiedlichen Akzenten berichtet und kommentiert.

Auf dem deutschen Ausflugsschiff „Adler Dania“ hätten sich am Dienstag kurz vor dem polnischen Hafen Swinouscie (Swinemünde) drei Männer in Zivil als Zöllner ausgegeben und Zugang zu den Spirituosenbeständen verlangt, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Sie hatten aber keine internationalen Ausweise oder Durchsuchungsbefehle, so der Kapitän. Er drehte darum bei und steuerte deutsche Hoheitsgewässer an. Dies habe den Regeln des ISPS-Codes entsprochen, einer internationalen Sicherheitsvorschrift, um „Anschläge auf Schiffe und Hafenanlagen“ zu verhindern.

Der befürchtete „Anschlag“ bestand nach polnischem Steuerrecht in der Konfiszierung der Alkoholikabestände an Bord. Zoll wird zwischen beiden Ländern seit dem EU-Beitritt Polens nicht mehr erhoben. Es könnte sich aber um eine Steuerangelegenheit gehandelt haben. Alarmierte Zollboote wollten das Schiff zum Umdrehen zwingen. Hier gehen deutsche und polnische Angaben auseinander: der polnische Zoll will nur Leuchtraketen verwendet haben, Mitglieder der Schiffs-Crew berichteten dem Nordkurier, sie seien von Maschinenpistolen und Gewehren beschossen worden. Zudem soll sich ein polnisches Zollboot dem Schiff in den Weg gestellt haben. Die polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtete, die Zöllner seien gekidnappt und in Heringsdorf von der deutschen Polizei festgenommen und stundenlang verhört worden.

Von deutschen Stellen wird dies dementiert. Das Stettiner Zollamt will nun steuerstrafrechtlich gegen den Kapitän des Schiffes vorgehen, da Spirituosen auf polnischem Hoheitsgewässer der polnischen Verbrauchssteuer unterliegen. Zudem hat der Zoll die polnische Staatsanwalt über die „Freiheitsberaubung polnischer Beamter“ benachrichtigt, so die Gazeta Wyborcza. Nach Angaben der Reederei hätten polnische Zollbeamte bereits vor zehn Tagen 380.000 Zigaretten mit polnische Steuerbanderole konfisziert. Die Zigaretten würden auf dem Schiff teurer als in Polen verkauft, wodurch dem polnischen Staat Steuern entgingen, so der Vorwurf von der östlichen Seite der Oder. Die Reederei mit Sitz in Sylt hat seit Dienstag den Verkehr auf dieser Linie eingestellt. Von der Politik wird mittlerweile versucht, die Wellen zu glätten, die der Ausflugsdampfer und seine hochprozentige Ladung geschlagen haben. Im Hinblick auf den Besuch des polnischen Premiers Jarosław Kaczyński am 30. Oktober warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, davor, aus dem Vorfall ein politisches Thema zu machen. Auch das polnische Außenministerium werde wohl auf eine diplomatische Protestnote verzichten. Es will den Fall in Absprache mit deutschen Stellen klären, so Quellen der polnischen Zeitung. Die Aufregung um den Zwischenfall kommt dennoch zu einem ungünstigen Moment. Denn kürzlich wurde bekannt, dass der Schengen-Beitritt der neuen EU-Länder um ein Jahr verschoben werden wird. Unlängst zeigte das polnische Staatsfernsehen unzufriedene Polen, die in langen Autoschlangen vor der deutschen Grenze ausharren mussten und sich als EU-Bürger zweiter Klasse sahen.