dgb-demo
: Kein Termin für die Unterschicht

Dass die Teilnehmerzahlen für die DGB-Demo in Dortmund betont vorsichtig geschätzt werden, wirft ein schlechtes Licht auf die Kampagnenfähigkeit und Kampfstärke des Gewerkschaftsbundes in Nordrhein-Westfalen. Wenn die Arbeitnehmervertreter an Rhein und Ruhr Mobilisierungsdefizite haben, zeigt dies die weiter schwelende Krise der Gewerkschaft. NRW hat immer noch rund eine Million Arbeitslose – warum werden in Dortmund also nur rund 30.000 Menschen erwartet? Zum Vergleich: 1996 demonstrierten in Bonn 350.000 gegen CDU-Kanzler Kohl, 2004 zog der Anti-Agenda-2010-Protest in Köln immerhin 100.000 Regierungskritiker an.

KOMMENTAR VON MARTIN TEIGELER

Dabei gibt es auch und vor allem in NRW neue und alte Armut, seit Generationen bestehende Sozialhilfefamilien, Chancenlose und bildungspolitisch Benachteiligte. Man kann das im Harald-Schmidt-Deutsch „Unterschicht“ nennen. Das Problem des DGB: Diese Unterschicht interessiert sich nicht für die Gewerkschaft. Unterschichtler kennen DGB-Landeschef Guntram Schneider schlichtweg nicht. Der DGB gilt vielen in den unteren Klassen zudem als Kampftruppe der Facharbeiter und Angestellten – der relativen „Oberschicht“ der abhängig Beschäftigten. Die Unterschicht – Hartz-IV-Empfänger, Kleinrentner, prekär Beschäftigte, Zwangsprivatiers und Grau- oder Schwarzarbeiter – lässt sich nicht von einer DGB-Arbeitnehmerelite mobilisieren, die zudem – vom Mindestlohn bis zur Zukunft der beruflichen Ausbildung – keine einheitliche Position formulieren kann.

Wozu dann noch der DGB? Der Dachverband sollte als Lobbyist für das Ex-BRD-Sozialstaatsmodell abdanken und die Einzelgewerkschaften wie ein Think Tank bei ihrer Kernkompetenz unterstützen, der Tarifpolitik. Die IG Metall NRW hat es vor Wochen im Tarifkonflikt der Stahlindustrie vorgemacht: Wer auf ganz große Lohnzuwächse verzichtet, um Jungen und Alten menschenwürdiges Arbeiten zu ermöglichen, verhindert, dass die Unterschicht immer größer wird.