Revolutionär mit Startproblemen

Seit diesem Semester müssen sich die Studierenden der Uni Hamburg mit dem komplexen Verwaltungsportal STiNE anfreunden. Nicht erst durch einen Serverabsturz zum Start gibt es jede Menge Kritik an dem bald obligatorischen System

VON ANDREAS BOCK

Dieses Bild sollte eigentlich der Vergangenheit angehören: Etliche Studenten, vornehmlich „Erstis“, aber auch ältere Semester irrten während der ersten Tage der Orientierungswoche über den Campus der Uni Hamburg. Dabei war ihnen zu Beginn dieses Semesters extra ein kleines Helferlein zur Seite gestellt worden. Die neue digitale Studienbegleitung STiNE – das „Studien-Infonetz“ – sollte all die analogen Schnüre der Universität ganz unauffällig in digitalen Datenströmen entwirren, ordnen und die Studenten elegant durch den „Campus-Dschungel“ führen. Online-Anmeldeformulare sollten Schwarze Bretter ersetzten und ein virtueller Stundenplan das eigene Zettelchaos bändigen.

Doch die Software wollte nicht so, wie es sich ihre Entwickler gewünscht hatten: Serverprobleme ließen STiNEs Geburt in einem großen Tohuwabohu enden. Soziologie-Studenten, die sich für eine Adorno-Veranstaltung eingetragen hatten, fanden sich plötzlich in Seminaren über wasserlösliche und wasserquellbare Polymerer Polyelektrolyte wieder. Und im Philturm wurde gescherzt: „Heute morgen um 6 Uhr 30 hat es geklappt, mittags ging dann gar nichts mehr. Das Verwaltungsportal für Frühaufsteher!“ Bekam dieser Daten-Crash zuerst eine humoreske Note, kann er dann nicht mehr als lapidar abgetan werden, wenn Studenten bestimmte Kurse belegen müssen.

Maja, Anglizistik-Studentin im 7. Semester, trauert bereits alten Zeiten nach, „als man einfach Kreuzchen machen konnte“. Vor allem die Tatsache, dass jede Transaktion eine so genannte TAN-Nummer benötigt, geht vielen Studenten auf die Nerven.

Die zunächst noch leise und vage formulierte Kritik an STiNE bekam durch die zahlreichen Pannen der letzten Woche eine neue Qualität. Auch Heike Opitz, wissenschaftspolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, fürchtet, dass der „Software-GAU große Nachteile für die Studierenden haben kann.“

Torsten Hönisch ist Leiter des STiNE-Projekts und kann die Kritik weitgehend nachvollziehen: „Im Nachhinein wäre es sicher besser gewesen, STiNE ein Semester einem Testlauf zu unterziehen. Ganz unverbindlich, mit weniger Modulen.“ Dennoch ist Hönisch von der Idee des Portals überzeugt. Verwaltungsprozesse würden erleichtert und viele Probleme, die in der Vergangenheit zu wenig beleuchtet wurden, weil sie zu marginal schienen, seien durch STiNE transparenter. Der AStA-Referent veranschaulicht dies an Studenten, die in den vergangenen Semestern Seminare aufgrund von Überfüllung nicht belegen konnten: Nun könne man mithilfe von STiNE diese Einzelfälle sichtbar machen und würde gegebenenfalls andere Prioritäten bei der Vergabe von Seminarplätzen setzen.

Doch auch wenn die Daten nur den zuständigen Personen zugänglich gemacht werden sollen, so erklärt Hönisch, stehen viele Studenten dieser Transparenz mit Tendenz zum gläsernen Studenten sehr skeptisch gegenüber. Wer schützt vor Hackern? Das System wird zwar ständig durch kontrollierte Angriffe von der Universität selbst geprüft, doch Sicherheitslücken scheint es immer noch zu geben: Anfang der Woche wurde publik, dass Hacker auf STiNE zugriffen und Daten manipulierten.

In Lüneburg kennt man solche Probleme nicht. Hier entwickelten Paul Siegert und Timo Leder vor fünf Jahren den Service „mystudy“. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Fachbereichs Kulturinformatik verbesserten die anfangs noch sehr einfache Version des Portals Schritt für Schritt. Auch heute noch ist „mystudy“ weit entfernt von der Komplexität eines STiNE und lenkt trotzdem, zur großen Zufriedenheit fast aller, etliche Belange der Studenten, Professoren und Mitarbeiter der Universität: „Der Ansturm auf ‚mystudy‘ war von Anfang an prognostizierbar. Eine Anmeldung war nicht verpflichtend, so dass das Portal erst im Laufe der letzten Semester langsam gewachsen ist“, erklärt Paul Siegert.

In Hamburg ging man gleich in die Vollen. Und auch wenn das Portal Freiwilligkeit suggeriert, kann man dem STiNE-Apparat de facto nicht entfliehen. Wer sich künftig nicht über STiNE registrieren lässt und die Software als kommunikatives und planerisches Instrument einsetzt, kann bald nicht mehr studieren.

Allen Kritikern zum Trotz wird im STiNE-Lager weiterhin die große Uni-Revolution gefeiert. Man müsse sich in Geduld üben. Auch dann, wenn der Revolutionär eine superschnelle Rechenmaschine ist. Apropos: In Punkto Schnelligkeit sehen viele Studenten den großen Vorteil zu traditionellen Kommunikationswegen. In einem Uni-Forum fragte jüngst ein Nutzer, wie gut STiNE funktioniert, da er seine Immatrikulation davon abhängig machen wolle: Damit könne man „sein Studium schneller organisieren und so auch schneller fertig werden: Und das sollte für uns alle, die die Karriereleiter hoch wollen, das primäre Ziel sein.“ Nutzen hin, Karriereleiter her, die technischen Probleme wurden am Mittwoch behoben – und den Studierenden versprochen, dass ihnen „keine Nachteile entstehen“.