KINDER IM DUNKELN
: Laterne, Laterne

Man kann an ihren Augen sehen, wie sehr es ihr gefällt

Es ist wieder so weit. Es wird wieder geleuchtet in den Straßen. Kinder ziehen singend um die Häuser, während Eltern und Großeltern knipsen und filmen. Heute sind wir an der Reihe. Der Kindergarten meiner Tochter trifft sich um 17 Uhr zum Laternenlaufen. Leider geht beim Abendessen allerhand schief, sodass wir eine Viertelstunde zu spät am Treffpunkt sind. Niemand ist mehr da. Wir stehen im Dunkeln und spitzen die Ohren. Irgendwo im Viertel hört man jemanden singen. Wir zünden unsere Laterne an und begeben uns auf die Suche. „Da lang!“, deutet meine Frau an. Wir ziehen einen Block weiter. Plötzlich laufen sie direkt vor uns.

Wir schließen zum hinteren Teil der Gruppe auf, und als der Tross zum Stehen kommt, ahnen wir, dass etwas nicht stimmt. Bei genauerem Betrachten merken wir, dass wir kein einziges Kind kennen. Bei der nächsten Gruppe läuft es ähnlich. Alle leuchten eifrig – aber es sind wieder die Falschen. Es scheint, als sei das ganze Viertel voller Kleinkindergruppen, die wie Nomaden um die Häuser ziehen und ihre Lieder singen. Ich stelle mir vor, wie es wohl von oben aussähe, vom Himmel, vom Weltall aus betrachtet, wenn man die Laternen unseres Viertels auf den Luftbildern bei Google Earth leuchten sehen könnte. Oder wenn all die Kinder einfach bei Google Street View durchs Bild latschen würden.

Dann endlich passiert es – all die bekannten Gesichter stehen vor uns. Jubelszenen, bei denen mehrere Laternen kaputtgehen.

„Schön, dass ihr uns noch gefunden habt!“, ruft die Erzieherin, während unsere Tochter stolz ihre Laterne zeigt. Man kann an ihren Augen sehen, wie sehr ihr alles gefällt. Den anderen Kindern geht es genauso. Und wir Erwachsenen stehen daneben und staunen: Überall leuchtende Kinderaugen. Sieht von Nahem immer noch viel schöner aus als bei Google Soundso. JOCHEN WEEBER