: Mann mit Mission
PLATTENFIRMA Felix Willikonsky ist mit seinem Indie- und Punkrocklabel Flix Records von Wien nach Berlin gezogen
VON NADINE EMMERICH
So viel Platz braucht man gar nicht für eine Plattenfirma. Eine Zeit lang hat Felix Willikonsky seine – Flix Records – aus dem begehbaren Kleiderschrank seiner Freundin in Wien betrieben. Obwohl damals schon die Zeit vorbei war, in der er sich nur von Toast mit Thunfisch ernährte. Wer in Zeiten, in denen illegale Downloads die Musikbranche in die Knie zwangen und Labels ihre Mitarbeiter um die Wette feuerten, auch noch Vinyl-Platten verkaufen wollte, musste jedoch eine hohe Leidensfähigkeit mitbringen. „Die Welt hat gegen mich gearbeitet“, sagt Willikonsky. „Aber ich hatte eine Mission, auch heute noch.“
Mittlerweile hat der 29-Jährige, sechs Jahre nach Gründung seines Ein-Mann-Indie- und Punkrocklabels, etwa 45 Singles und Alben veröffentlicht. Alles Herzblutangelegenheiten. „Flix, das bin ich, das ist meine Sichtweise“, sagt er. Sein Blick geht dabei fast immer Richtung US-Underground, aus Nordamerika kommen nahezu alle seiner Bands. Anfang dieses Jahres zog Willikonsky mit seinem Miniunternehmen, das auch Booking, Tourmanagement und Pressearbeit übernimmt, von Wien nach Berlin. Hier sitzen Dutzende Akteure der Branche und DIY-Szene, mit denen er lange nur aus der Ferne zusammenarbeitete. Wien, sagt Willikonsky, habe viel weniger Subkultur als Berlin. „DIY-Punkrock gibt es kaum.“
Jetzt könnte man denken, dass er im vernetzten 21. Jahrhundert sein Label auch von Kuala Lumpur aus betreiben könne. Doch seine Geschäfte bahnen sich noch immer oft bei einem Bier an der Bar an. In Berlin trifft Willikonsky bei Konzerten auch viel häufiger die Fans und Käufer seiner Platten. Der harte Kern steht auf den Gästelisten seiner Shows, den Bands bringen sie dann Kuchen mit. Die Übergänge vom Flix-Kunden zum Flix-Geschäftspartner sind, wie in der DIY-Szene üblich, oft fließend. Viele Fans sind selbst Macher, betreiben beispielsweise ein Musikblog. Willikonsky ist aber nicht nur eng verbandelt mit Fanzines und Undergroundmagazinen, auch in Verlagshäusern hat er Kontakte mit Szenebezug. „Viele Leute kommen aus dem Punkrock und sind jetzt auf ein Mal Senior Marketing Manager bei einem großen Unternehmen.“
Durch eine „Punkrockconnection“ kam Willikonsky in Berlin auch an eine Festanstellung in einer Agentur für Social-Media-Projekte. Zwar verdient er seit rund einem Jahr mit seinem Label und insbesondere mit Flix Agency fürs Livegeschäft genug Geld, dass er sich auch ohne diesen Job durchschlagen könnte. Doch mit fast 30 wollte er „auch mal in die Rentenkasse einzahlen“ oder einer Band einen Vorschuss zahlen können. Außerdem ist er trotz Vinyl-Label Fan von allem Digitalen – inklusive Streaming. Seine Plattensammlung verkaufte er. Jetzt ist er Spotify-Nutzer.
Für Willikonsky ist es kein Widerspruch, Vinyl toll zu finden, aber nicht mehr die gesamte Wohnung damit zu pflastern. Manche seiner Vinylkäufer wiederum haben gar keinen Plattenspieler. Die nutzen nur den Downloadcode und stellen sich die Platte mit dem schönen Artwork ins Regal.
Gegründet hat Willikonsky Flix Records nach der Schule in Stuttgart – Weihnachten 2007, als er von einem Designer ein Label-Logo geschenkt bekommen hatte. „Da gab es dann kein Zurück mehr“, sagt er. Seine erste Veröffentlichung war eine Single der deutschen Poprocker My Early Mustang. 30 Leute kauften sie. „Wirtschaftlich war das ein Himmelfahrtskommando“, sagt er. Eigentlich müsste man mindestens 3.000 Stück verkaufen. Seine Lieblingsbands fragte er einfach an, ob sie auf sein Label wollten. Das ging damals einfach, viele hatten gerade ihre Plattenverträge verloren. Willikonsky jobbte, pumpte alles Geld in Flix und nahm auch mal einen Scheck seiner Eltern an.
2008 ging er zum Studium nach Wien, steckte aber weiter die meiste Zeit ins Label. Nebenbei arbeitete er für große Plattenfirmen und bekannte Künstler. Was vom Lohn nach Abzug der Miete übrig blieb, floss wieder in Flix und „die Herzblutprojekte“. The Static Age zum Beispiel. Das US-Trio gehörte zu seinen ersten Veröffentlichungen und begleitet ihn bis heute. Liebevoll nennt er es „die Band mit den meisten verpassten Chancen“. Als noch keiner Lady Gaga kannte, trat sie als Support von The Static Age auf. Heute sind es The Static Age, die durch Jugendzentren touren.
Für Flix geht es derweil bergauf: Sein kleines Büro in Treptow wird Willikonsky gegen ein größeres tauschen, die Suche läuft. Seit April sind auch eine Tourmanagerin aus Lindau und eine Bookerin aus Mainz in Berlin, um Flix Agency freiberuflich zu unterstützen. Denn derzeit schuftet Willikonsky mit seinen zwei Jobs von sieben Uhr morgens bis ein Uhr nachts. „Das ist aber in Ordnung, ich empfinde das Label nicht als Arbeit.“
Die mit dem Ausbau verbundenen Hoffnungen formuliert er zwar vorsichtig: „Es geht nicht darum, Künstler groß zu machen, denen soll es besser gehen als vorher.“ Dennoch denkt er schon mal weiter: „Sollte eine Band tatsächlich explodieren, kann ich immer noch sagen, ich mache nur noch Flix.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen