GEMEINEIGENTUM GEHT VOR STAAT ODER PRIVAT
: Die Wiederbelebung einer alten Idee in Zeiten der Krise

„Commons“ beginnen schon beim Bepflanzen von Baumscheiben

VON HELMUT HÖGE

Kropotkin predigte bereits um 1900: Gemeineigentum (auch Allmende oder Common genannt) geht vor Privat- und Staatseigentum – als Basis eines dem Menschen gemäßeren Wirtschaftens: kooperativ statt konkurrierend. Seit den Initiativen für „Open Sources“ und „freie Software“ ist daraus eine fast schon globale „Commons“-Bewegung geworden. Dazu trug auch die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an die Allmendeforscherin Elinor Ostrom bei.

Die Heinrich-Böll-Stiftung lud vor einigen Tagen zu einer internationalen Konferenz: „Constructing a Commons-Based Policy Platform“. Die Vorständlerin der grünen Stiftung, Barbara Unmüßig, kam in ihrer Eröffnungsrede auf den Kampf um die Berliner Wasserwerke und auf einen Wald bei Templin zu sprechen, der gerade von der Treuhand an eine Privatperson verkauft wurde, obwohl die dortige Gemeinde mitgeboten hatte: „Solche Kontroversen finden derzeit überall auf der Welt statt.“

Bevor sie ihre „Statements“ abgaben, besuchten die Konferenzteilnehmer drei Berliner „Commons“-Projekte: die Ambulante Krankenpflege (AKB) in Schöneberg, die Kreuzberger Genossinnenschaft Schokofabrik und die Nichtkommerzielle Landwirtschaft Karlshof (NKL) in ihrem Kreuzberger Kartoffelcafé. Bei Letzterem besteht die Gemeinwirtschaft darin, dass der Karlshof einer Stiftung gehört und das ihn bewirtschaftende Kollektiv die Erträge verteilt, statt sie zu verkaufen. Die 15-köpfige Gruppe begreift ihr „Projekt“ als Vorgriff auf den Kommunismus: Sie produziert keine Tausch-, sondern Gebrauchswerte. Für ihre Investitionen, Lebenshaltungskosten etc. werben sie mittels Kampagnen Geld ein. Das ist an einem kleinen Punkt – in Brandenburg – eine marktwirtschaftssystemüberwindende Maßnahme.

Die Kongressorganisatorin Silke Helfrich ist optimistisch, dass solche und ähnliche Projekte gewinnen werden: „Die Commons bieten die Chance, den ökonomischen, sozialen und zivilisatorischen Krisen sowie der Umweltkrise entgegenzutreten.“ James Bernhard Quilligan vom Global Commons Trust wies jedoch darauf hin, dass bisher alle großen Ökonomen – einschließlich Marx – „das Gemeineigentum ignoriert“ hätten.

Marx war jedoch gar kein Ökonom und hat sich deswegen auch ausgiebig mit der Allmende in Russland beschäftigt. Die „Obschtschinas“, wie sie hießen, könnten laut Marx quasi direkt vom Urkommunismus in den Kommunismus springen, wenn eine proletarische Revolution ihnen rechtzeitig entgegenkomme – bevor die Dorfgemeinschaften infolge ihrer kapitalistischen Durchdringung wie in Europa in immer weniger werdende Privateigentümer zerfallen. Die Obschtschinas wurden erst nach der Russischen Revolution zerstört, indem der Staat sie durch Kolchosen ersetzte. Nach Auflösung der Sowjetunion entstanden jedoch jede Menge neue von unten.

Die Heinrich-Böll-Stiftung setzte jedoch bei ihrer Konferenzplanung eher auf westliche Commons, wobei zwischen „indigenen“, „urbanen“ und „digitalen“ unterschieden wurde. Der südafrikanische Aktivist Richard Pithouse fügte hinzu: „Wir müssen auch die einst durch die Auflösung qua Einhegung der Allmende Verarmten mobilisieren, d. h. die Konfrontation mit Staat und Kapital wagen.“ Silke Helfrich erinnerte daran, dass auch der Widerstand der Bürger gegen „Stuttgart 21“ ein Kampf gegen „die Erosion der Commons“ sei. Und auch schon, so darf man vielleicht ergänzen, das Abernten der Obstbäume an den Landstraßen sowie das Bepflanzen der Baumscheiben in der Stadt, wie es massenhaft in und um Berlin geschieht.