Vom gewöhnlichen Leben im Elendsviertel

Jugendliche aus den Favelas von Rio präsentieren ihre Welt. Sie wurden für „City of God“ gecastet und landeten so in einer Medienschule. Kurzfilmabend am Montag, vor Beginn des Brasilianischen Filmfests in Hamburg

taz: Frau Kuntze, als Auftakt zum brasilianischen Filmfestival „Brasil Plural“ veranstalten Sie am Montag eine Kurzfilmvorführung. Was ist das besondere an diesem Abend?

Maren Kuntze: Seit zwei Jahren gibt es gekoppelt an das brasilianische Filmfest das Projekt „Brasil Mais Plural“. Hier steht nicht die Filmkunst, sondern die Diskussion über gesellschaftliche Themen im Mittelpunkt. Dieses Jahr zeigen wir in diesem Rahmen Kurzfilme der Gruppe „Nós do Cinema“ aus Rio de Janeiro.

Wie hat sich diese Gruppe junger brasilianischen Amateurfilmer gefunden?

„Nós do Cinema“ besteht aus einigen Jugendlichen, die alle aus den Favelas der Stadt kommen. „Nós do Cinema“ ist entstanden, als vor sechs Jahren viele Jugendliche für den Film „City of God“ gecastet wurden. 200 junge Menschen aus den Favelas haben so ein dreiviertel Jahr Schauspielunterricht bekommen. Die Produzenten des Films, Kátia Lund und Fernando Meirelles, haben diese Gruppe dann weiter betreut und so eine kleine Filmschule geschaffen, in der inzwischen vor allem Filmproduktion gelehrt wird. Mittlerweile haben die Jugendlichen die Koordination ihres Projektes selbst übernommen und suchen nach Kooperationspartnern auch hier in Deutschland.

Brasilianische Filme sind in Deutschland nicht sonderlich bekannt. Was zeigen uns die Filme dieser Gruppe?

In Hamburg werden drei dokumentarische und ein fiktionaler Kurzfilm zu sehen sein. Sie zeigen das gewöhnliche Leben in den Elendsvierteln. Es geht etwa um mehrere Straßenverkäufer und ihre Querelen mit der Polizei. Ein anderer Film thematisiert das Problem der Schwangerschaft von Minderjährigen. Das sind alles Themen, mit denen die Jugendlichen in ihrem Umfeld jeden Tag konfrontiert sind. Zur Diskussion über die Filme und das Leben in den Favelas wird extra ein Mitglied von „Nós do Cinema“ nach Hamburg kommen.

Was haben die Filme für eine Qualität, im Vergleich zu gewöhnlichen Kino-Filmen?

Mit Kino-Streifen können die natürlich nicht mithalten, dafür zeigen die Filme aber das Leben in den Favelas mit der ganzen Authentizität pur.

Neben dem Erlernen von Film-Produktionstechniken will das Projekt mehr für die Mitglieder erreichen. Was zum Beispiel?

Die Jugendlichen lernen so, sich selbst kreativ auszudrücken. Das sind Fähigkeiten, die sie vorher noch nicht kannten. Viele lernen durch das Projekt den Umgang mit audiovisuellen Medien. Ich habe in Rio erlebt, dass viele Jugendliche durch die Arbeit in der Filmschule auch ihre eigene Stadt zum ersten Mal richtig entdeckten.

Gibt es junge BrasilianerInnen, die durch das Projekt einen Job in der Filmbranche bekommen haben?

Ja, mir fällt momentan eine Person ein, die bei „City of God“ mitgespielt hat und jetzt Cutter geworden ist. Er ist heute auch einer der Leiter von „Nós do Cinema“. Andere Schüler haben durch die Schule Praktika in der Filmbranche bekommen. Durch das Projekt erhöhen sich aber die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für alle Teilnehmer. INTERVIEW: NILS NABER