Seelsorge in Apostelstärke

Das Dominikaner-Kloster in Barmbek wird 40 Jahre alt. Der jüngste Pater, Laurentius Höhn, lebt seit einem halben Jahr dort. Es ist ein Leben mit wenig Zeit für sich selbst – und sehr involviert ins Heutige

von FRIEDERIKE GRÄFF

Eigentlich muss Pater Laurentius gleich weiter. Zu einem 95-Jährigen, dessen Frau nach 67 Jahren Ehe gestorben ist. Er muss die Messe in der benachbarten St. Sophien-Kirche halten, er geht morgens in den Kindergarten und abends ins Altenheim, er kümmert sich mit einem Mit-Pater um die Seelsorge in der Gemeinde. „Das ganze Programm, jeden Tag“, sagt er mit ein bisschen Berliner Dialekt.

Im Augenblick kommen noch die Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen des Klosters in Barmbek dazu. „Wir möchten eine Theologie der Entschleunigung“, sagt Pater Laurentius und wenn man ihn fragt, wie das mit seinem Terminkalender zusammenpasse, sagt er, dass es einen Unterschied zwischen Ideal und Wirklichkeit gebe. „Immerhin habe ich kein Handy.“

Das Dominikanerkloster in der Weidestraße ist ein einfacher Backsteinbau, klein dazu, denn er ist nur für zwölf Ordensbrüder konzipiert. „Apostelstärke“, sagt Pater Laurentius dazu. Er kann leidenschaftlich über die passenden Begriffe sprechen, darüber, dass er das Wort Kloster nicht geeignet findet für ihre Gemeinschaft, weil „claustrum“ geschlossen bedeutet. Richtiger erscheint ihm „Konvent“, weil es von „convenire“, zusammenkommen, abgeleitet ist.

Zur Zeit sind es neun Brüder, die in Barmbek zusammengekommen sind, das ist heutzutage, wo sich kaum noch Menschen für ein Ordensleben entscheiden, „relativ viel“. Von den neun Novizen, mit denen Pater Laurentius in den Orden eingetreten ist, ist er der einzig verbliebene.

In Barmbek ist er mit 38 Jahren der jüngste. Der Mitbruder, der mit ihm die Sophien-Gemeinde betreut, ist 46 Jahre alt. „Dann geht es schon hoch“, sagt Pater Laurentius. Aber mit dem hohen Altersdurchschnitt und den regelmäßigen Gebetszeiten enden die Erwartbarkeiten.

Wenn Besucher ins Kloster kommen, sind sie überrascht, dass es einen Fernseher und Internetanschlüsse gibt. Sie sind überrascht, dass sich die Brüder die Fußball-Weltmeisterschaft angesehen haben und noch mehr würde sie wohl überraschen, worüber Pater Laurentius seine theologische Abschlussarbeit geschrieben hat: „Das schöne Erlebnis in der Gesellschaft als Kontext einer apologetisch orientierten Fundamentaltheologie“.

Pater Laurentius vertritt darin die These, dass an die Stelle des Erlebnisses das Ereignis treten müsse und als Beispiele für die Erlebnisse treten Claudia Schiffer, Michael Schuhmacher und Robert de Niro auf. Pater Laurentius ist ein großer Anhänger de Niros und nicht unfroh, dass es ihm gelungen ist, ihn über seine Rolle in Frankenstein in die Arbeit zu schleusen.

Die Entscheidung, in den Dominikaner-Orden einzutreten, und der Verzicht auf Ehe und Kinder sind ihm nicht leicht gefallen: „Die Verlobungszeit hat sieben Jahre gedauert.“ Mit dem Eintritt hat er jeglichen Eigenbesitz aufgegeben und bis zu einem gewissen Grad auch die Entscheidung, wo er lebt.

Der Provinzial besetzt die Stellen in den Klöstern. Pater Laurentius ist etliche Male umgezogen, zuletzt war er zehn Jahre an der Fachhochschule in Vechta. Doch anders als früher pflegt man heute einen „dialogischen Gehorsam“. Überdies wählen die Dominikaner ganz demokratisch alle Amtsinhaber auf Zeit.

Ihr Zusammenleben in Barmbek beschreibt Laurentius als „Zweckgemeinschaft mit hoffentlich auch affektiven Anteilen“. Es ist eher selten, dass wirklich alle Brüder versammelt sind, dazu sind sie zu eingebunden in ihre Arbeit: Sei es als Pfleger, als Leiter einer Suppenküche oder als geistlicher Schriftsteller.

Ob der Konvent wie eine Familie ist? „Nein“, sagt Laurentius. Für ihn bleibe das eher die Ursprungsfamilie und auch jener Kreis aus Bonner Theologiestudenten, der sich seit Jahren regelmäßig trifft. „Manchmal denke ich, dass, wenn ich morgen stürbe, es nicht so ein Kümmernis wäre“, sagt Laurentius. „Ich bin nicht der Nabel der Welt – und mit diesem Gefühl kann ich neu aufs Familienleben schauen.“

Dieses Familienleben der anderen lässt ihm wenig Zeit. Er hat eigentlich einen halben freien Tag pro Woche, aber wenn ihn jemand ruft, kommt er auch dann. Die Leute rufen, wenn sie in Not sind und wenn sie nach den alten Ritualen wie Taufe oder Trauung verlangen. „Manchmal sehe ich in den Gesprächen wenig Fundament dafür“, sagt der Pater. Er weiß nicht, ob das neue religiöse Interesse aus der Tiefe kommt, so wenig wie er weiß, welcher Klosternachwuchs im Alter für ihn aufkommen wird. Aber er wirkt nicht mutlos. Im Gegenteil.