Halb so wild

Bei der ersten Jugendumweltkonferenz der Grünen sollte die Parteijugend den Berufspolitikern auf die Nerven gehen – eine urgrüne Tugend, die der Nachwuchs offenbar nicht mehr beherrscht

AUS BERLIN MARTIN LANGEDER

In der langen Halle des Paul-Löbe-Hauses, des mächtigen Glas-Beton-Baus gegenüber dem Kanzleramt, herrscht aufgekratzte Schulausflugsstimmung. Bunte Rucksäcke mit Isomatten kullern zwischen Infoständen mit Broschüren zum Atomausstieg und zur Windenergie rum.

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat am Wochenende zur ersten Jugendumweltkonferenz, anbiedernder Untertitel „Umweltschutz – Was geht?“, geladen. Eineinhalb Tage lang sollen Jugendliche nach dem Motto „Geht uns auf die Nerven!“ das Sagen haben. Zuerst kommen freilich die Erwachsenen zu Wort. Fraktionsvorsitzende Renate Künast gibt die Marschrichtung vor. Umweltschutz dürfe keineswegs, wie es das Magazin Focus unlängst formuliert habe, zum „bloßen Lebensstil“ verkommen. Sie warnt vor den drohenden Auswirkungen des Klimawandels. „Es geht um eure Zukunft!“ Wo Schatten, da auch Licht – Jobs nämlich. Schon jetzt würden im Umweltbereich 1,5 Millionen Menschen Beschäftigung finden.

Aha. Stimmung kommt da nicht wirklich auf. Erst als später die Vertreterin der grünen Jugendorganisation zu „radikalen Maßnahmen“ aufruft, sie aber nicht genauer benennt, gibt es spontanen Applaus. Bevor endlich die Jugendlichen sagen dürfen, was sie stört, hüpft noch ein Wirtschaftsvertreter aufs Podium. Auch er spricht von Jobs. Im Moment seien in seinem Unternehmen mit 1.400 Mitarbeitern, die sich mit erneuerbaren Energien beschäftigen, 50 Posten zu besetzen.

Jedoch: Die meisten hier denken noch gar nicht an ihre berufliche Karriere. Zunächst sind die Schüler, Studenten und diejenigen, die gerade ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) machen, vollends damit beschäftigt, die Auswirkungen des Klimawandels hinauszuzögern – mit mal kleineren, mal größeren Taten. Laut jüngster Shell-Jugendstudie setzt sich jeder fünfte Jugendliche für ökologische Ziele ein. An die 150 davon sind zur Konferenz nach Berlin gekommen.

Ein Teil von ihnen sitzt jetzt im Raum E 300 im Erdgeschoss in einem der zehn von grünen Bundestagsabgeordneten geleiteten Workshops. Thema bei Cornelia Behm: Wie können internationale Strategien helfen,die weltweiten Umweltprobleme zu lösen? Wo sonst Abgeordnete zu ihren Ausschusssitzungen zusammenkommen, beschäftigen sich nun Jugendliche mit so komplexen Umweltthemen wie dem Baseler Abkommen oder dem Kioto-Protokoll.

Schräg gegenüber ein ähnliches Bild. Artig warten die jungen Diskutanten in ihren schwarzen Drehstühlen darauf, dass ihr Name aufgerufen wird und sie ihren Beitrag ins Mikrofon sprechen dürfen. Es geht um Nachhaltigkeit im Alltag: Darum, zu einem Ökostromanbieter zu wechseln, mit dem Rad statt mit dem Auto zu fahren und im Biomarkt einzukaufen.

Aber was ist mit radikalen Maßnahmen gegen den Klimawandel? „Man merkt sehr schnell, dass man mit Forderungen in diese Richtung gegen eine Wand läuft“, sagt Stephan Grevl aus Hamburg, einer der Konferenzteilnehmer. „Bei den Emissionen sind die USA und China einsame Spitzenreiter.“ Von Deutschland aus könne man ohnehin nur NGOs in diesen Ländern bei ihrer Arbeit unterstützen, meint der 21-Jährige.

Dementsprechend abgeklärt fällt auch die Präsentation der Workshop-Ergebnisse aus. „Exportrecht für Entwicklungsländer erst nach ‚Hungerfreiheit‘ im eigenen Land“, ist eine der Forderungen. Zwei weitere sind „Keine weitere Freisetzung von gentechnisch veränderten Lebewesen“ und „die Bahnpreise drastisch senken“. Als Gegengremium zur Welthandelsorganisation (WTO) schlagen die Jugendlichen die Gründung einer Weltumweltagentur vor, in der ökologische Standpunkte vertreten werden.

„So radikal sind viele eurer Forderungen gar nicht“, resümiert Sylvia Kotting-Uhl, die Initiatorin der Jugendumweltkonferenz. „Vieles deckt sich mit dem Programm der Grünen.“ Warum nicht mehr davon umgesetzt werde, wird die Bundestagsabgeordnete gefragt. Ihre Antwort: „Deutschland ist eine Konsensdemokratie. Wir müssen mit der Wirtschaft Kompromisse schließen.“ Und verspricht erwartungsgemäß, dass ihre Fraktion die Forderungen und Wünsche der Jugendlichen ernst nehmen werde.

Einem unmittelbaren Wunsch der Teilnehmer konnte allerdings nicht entsprochen werden: „Mehr Käse, weniger Wurst“, vor allem aber biologische Produkte auf dem Büfett. Auch hier sind die grünen Altvorderen mehr oder minder machtlos. Das Cateringunternehmen des Paul-Löbe-Hauses änderte nicht extra für die Jugendumweltkonferenz sein Angebot.