Die Hamas rekrutiert neue Milizionäre

Die Gewalt zwischen den regierenden palästinensischen Islamisten und der oppositionellen Fatah eskaliert weiter. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar. Israel erwägt eine neue Großoffensive im Gaza-Streifen, um Waffenschmuggel zu unterbinden

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Mit dem Mordversuch an dem palästinensischen Hamas-Regierungschef und tödlichen Schüssen auf einen lokalen Kommandanten der Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden gestern im Gaza-Streifen ist der Gipfel der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien vermutlich noch nicht erreicht. Wenn keine Lösung gefunden wird, droht der Ausbruch eines Bürgerkriegs in den Palästinensergebieten. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage startete der Golfstaat Katar einen dringenden Vermittlungsversuch.

Erst am Wochenende kündigte der palästinensische Außenminister Mahmud Sahar (Hamas) an, die eigenen Milizen, die 6.000 Bewaffnete umfassen, um weitere 1.500 Rekruten im Westjordanland aufzustocken. Die Truppen sollen, so die Sorge innerhalb der oppositionellen Fatah, mit Hilfe aus Teheran bewaffnet und ausgebildet werden.

Grund für die Krise zwischen den politischen Bewegungen ist die Frustration der Hamas über die Tatsache, dass die Fatah seit Beginn der palästinensischen Autonomie die öffentlichen Ressourcen unter sich aufteilte. Die überragende Mehrheit der Angehörigen der Sicherheitsdienste und der Verwaltungsmitarbeiter steht der Fatah nahe. Seit März, zwei Monate nach der Wahlniederlage der Fatah, bleiben infolge der von den westlichen Geberländern über die neue Regierung verhängten Sanktionen ihre Gehälter aus.

Die Demonstrationen der unbezahlten Mitarbeiter der Autonomiebehörde eskalierten am Freitag in einen Mordversuch an Premierminister Ismael Hanijeh (Hamas), als Anhänger der Sicherheitsdienste das Feuer auf seinen Wagen eröffneten. Die der Fatah angehörenden Demonstranten hatten schon am Vortag die Hauptstraßen blockiert und Autoreifen in Brand gesteckt.

Die einzige Hoffnung auf eine Lösung bargen zunächst die auf Eis liegenden Verhandlungen zwischen Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (Fatah) und Hanijeh über eine Nationale Einheitsregierung. Offiziell liegt das Problem an der Ablehnung der Hamas, Israel anzuerkennen, wie es Abbas fordert. Unklar sind zudem die von der Hamas gestellten Bedingungen für die Befreiung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit.

Abbas reiste bereits Ende vergangener Woche nach Gaza. Erneute direkte Gespräche sind dennoch vorläufig nicht geplant. Stattdessen stellte Abbas eine Auflösung der Regierung und vorgezogene Neuwahlen in Aussicht. Entsprechend der vorläufigen Verfassung wäre er dazu befugt, dennoch ist ohne Kooperation des von der Hamas besetzten Innenministeriums das Abhalten von Neuwahlen illusorisch. Zudem mangelt es Abbas an der Rückendeckung seiner eigenen Partei, die eine Regierungsauflösung vorerst ablehnt. „Sämtliche Angebote (des Palästinenserpräsidenten) zielen darauf ab, die Regierung der Hamas zu stürzen“, wetterte Hanijeh am Wochenende. Er werde nicht zulassen, dass „das Rad der Geschichte zurückgedreht“ wird.

Die Eskalation im Gaza-Streifen war auch Thema der gestrigen Kabinettssitzung in Jerusalem. Seit dem israelischen Abzug im August letzten Jahres blüht der Waffenschmuggel an der ägyptischen Grenze. Selbst Minister der Arbeitspartei äußerten die Notwendigkeit einer umfassenden Operation entlang der Grenze. „Es besteht kein Zweifel, dass die Situation in Gaza Israels größte Aufmerksamkeit verlangt“, meinte Tourismusminister Jitzhak Herzog. Auch Vizepremierminister Schimon Peres äußerte sich enttäuscht: „Wir haben den Palästinensern den Gaza-Streifen überlassen, und sie tun nichts Besseres, als ihr Schicksal herauszufordern.“