ALLE SIND FÜR DEN FRIEDEN, AUCH DIE RECHTEN, DAS MACHT DEN FRIEDEN KOMPLIZIERT
: Unter der Friedenstaube

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Wir haben ein Lamm gegessen, wir haben Eier gefärbt, unsere Sachen riechen nach Qualm, wir haben lange am Feuer gestanden, das Wetter war wunderbar, endlich mal wieder, und ein paar von uns waren beim Ostermarsch. In Hamburg waren das ungefähr vierhundertfünfzig Menschen, in Schleswig Holstein sollen es um die sechshundert gewesen sein. In den Nachrichten wird immerhin noch darüber berichtet, stellt doch der Ostermarsch so etwas wie eine neuere Tradition dar. Ich war noch nie auf einem Ostermarsch, ich bin in der DDR aufgewachsen und dort wurde meist auf Anordnung marschiert, besonders für den Frieden, für den Frieden wurde immer auf Anordnung marschiert und es hatte eigentlich keine Bedeutung, außer, man sollte machen, was die wollten.

Die Ostermärsche aber sind mir schon ein Begriff, die alte Friedensbewegung, die noch eine Kraft hatte, etwas Mitreißendes, etwas, was aus den 68ern in unsere Zeit hinein noch nachwirkte, das gefiel mir und ich sah mich zwar nicht mittendrin, aber ich hatte eine Sympathie und ich fand es gut. Jetzt ist die Bewegung noch nicht ganz tot, aber sie stirbt langsam vor sich hin. Vierhundertfünfzig Menschen sind für eine Stadt wie Hamburg nicht viel. Was aber ist los, warum gehen die Menschen nicht mehr für den Frieden auf die Straße, so wie früher einmal? Warum gehe ich nicht für den Frieden auf die Straße?

Es ist kompliziert. Zum einen gibt es derzeit ein paar Leute, die auch unter der Friedenstaube marschieren und dabei unfriedliche Ziele vertreten. Was sie nicht zugeben würden, aber wenn ich sie sehe und wenn ich ihnen zuhöre, dann wird mir übel und dann möchte ich deren Frieden nicht vertreten. Deren Frieden ist an der Quelle ein Hass und verfolgt eine Strategie, und deren Sprecher, wenn ich sie mir ansehe und wenn ich ihnen zuhöre, erzeugen in mir ein ähnliches Gefühl, das etwa ein Motivationstrainer hervorruft. Ich möchte mit ihnen nichts zu tun haben.

Zum anderen hat der Frieden als Ziel etwas verloren, ich weiß gar nicht genau, wie man das erklären kann, aber es würde ja fast jeder Politiker jeder Partei unseres Landes den Frieden loben. Es sind ja alle für den Frieden. Sogar die Rechten, die sind auch für den Frieden, sagen sie. Und die, die wollen, dass jemand den Syrern einen militärischen Denkzettel verpasst, weil die Syrer Kriegsverbrecher sind, die sind für den Frieden, weil in Syrien ja Krieg ist und Krieg gegen Krieg helfen soll. Und dann die Judenhasser, die sind für den Frieden und gegen die Juden, weil die Juden für den Krieg im Nahen Osten verantwortlich sind, sagen sie, und die sind deshalb eben auch Friedensfreunde.

Es sind eigentlich fast alle für den Frieden. Deshalb ist der Frieden auch nichts, womit man sich Ärger einhandelt. Wenn man auf die Straße geht und sagt, man ist für den Frieden, dann wird man dafür nicht ins Gefängnis eingesperrt, man kann es sagen und es stört eigentlich niemanden. Es weiß eigentlich gar keiner mehr genau, was es bedeutet, wenn man für den Frieden ist. Wofür man ist, wogegen man ist. Ist man gegen Putin oder für Putin, wenn man für den Frieden ist, und ist man gegen die Amerikaner oder für die Amerikaner, soll man sich einmischen oder soll man es bleiben lassen und die Länder ihre Probleme selber lösen lassen, und auf welcher Seite ist man dann auf der Friedensseite? Das ist ein Problem und wenn man die Leute fragt, dann sind sie alle für den Frieden, selbst mit Bomben würden sie für den Frieden kämpfen. Ja, und da stehen wir und fragen uns, können wir wirklich für den Frieden noch auf die Straße gehen, ist der Frieden noch modern oder trägt er eine Bewegung nicht mehr, weil er jetzt Konsens geworden ist?Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen