Sehenden Auges in die roten Zahlen

VON MORITZ SCHRÖDER

Schon bei seiner Einschreibung bekam Martin Winkler ein Schreiben von der Bank in die Hand gedrückt. Zusammen mit seinen Eltern konnte der 21-Jährige Studienanfänger aus Geldern den zweiseitigen Antrag für sein Darlehen schnell durcharbeiten. Die Unterschrift unter dem Vertrag war dann reine Formsache. Als einer von 3.000 Studienanfängerinnen in Nordrhein-Westfalen hat Martin Winkler einen Vertrag mit der NRW-Bank abgeschlossen, die ihren Sitz in Münster und Düsseldorf hat. Sie wird von nun an jedes Semester die 500 Euro Studienbeiträge in seinem Namen an die Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach überweisen, wo er das Fach Tourismus, Catering und Hospitality Service studiert.

Die Beiträge, die dieses Semester erstmals an 18 Hochschulen im Land fällig wurden, bereiten Winkler damit erstmal keine Sorgen. Auch wenn er bei seinen Eltern lebt, finanziert er sich selbst: Er jobbt auf 400-Euro-Basis. Die Ausbildungsförderung BAföG bekommt er nicht, weil seine Eltern zu viel verdienen. Die monatlich 85 Euro für die Studienbeiträge könnte er sich ohne Hilfe nicht leisten.

Laut Gesetz hat jeder deutsche Student, der die Gebühren zahlen muss, einen Anspruch auf dieses Darlehen. Das Verfahren ist simpel. Die Landesbank übernimmt die Gebühren. Wer zwei Jahre nach Abschluss des Studiums genug Verdienst hat, muss anfangen, das Geld zurückzuzahlen. Wenn das Einkommen noch nicht ausreicht, wird später gezahlt. Die Konditionen: monatliche Raten von bis zu 150 Euro, höchstens 5,9 Prozent Zinsen. Studenten, die mit der Ausbildungsförderung BAföG gefördert werden, zahlen später höchstens 10.000 Euro an die Bank zurück. Alle anderen müssen auch mit höheren Summen rechnen. Ab welchem Einkommen die erste Rate fällig wird, hängt vom Familienstand und der Anzahl der Kinder ab.

Das so genannte Studienbeitragsdarlehen darf die NRW-Bank niemandem verweigern. Die finanzielle Situation der Studenten wird daher auch nicht überprüft. Anders sieht das bei den Studienkrediten aus, die erstmals etwa von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder der Deutschen Bank angeboten werden. Diese Banken fordern Auskünfte über das Einkommen und den Studienplan, bevor sie einen Kredit vergeben, und prüfen teilweise nach einigen Semestern, ob die Zwischenprüfungen bestanden wurden. Dafür muss das Geld nicht für die Studienbeiträge benutzt werden.

Zum ersten Mal schalten sich damit die Banken in die Finanzierung des Studiums ein. Die Studenten müssen nun schon vor ihrem Studium mit den Schulden kalkulieren, die sie Jahre später abtragen werden. Der frische Bankkunde Winkler hat noch keinen Schimmer, wo er in zehn Jahren arbeitet und ob überhaupt. In sechs Semestern will Winkler seinen Bachelor-Abschluss in der Tasche haben. Ob er dann noch vier Semester lang für den Master studiert, weiß er noch nicht.

Winkler hat sich ein Ziel gesetzt: „Ich will mein Studium in höchstens fünf Jahren durchziehen. Durch die Beiträge ist mein Ehrgeiz jetzt viel höher.“ Bei zehn Semestern müsste er 5.000 Euro plus Zinsen an die NRW-Bank zahlen. Diese Schulden will er mit einem gut bezahlten Job schnell wieder tilgen. Das hofft er zumindest: „Hoch verschulden werde ich mich wohl nicht. Aber beschissen kann es immer laufen“.

So betrachtet ist es für Per Hoffmann richtig mies gelaufen. Er hat Kunstgeschichte in Köln studiert und dadurch heute 25.000 Euro Miese. So viel BAföG hat er damals insgesamt erhalten. „Damals dachten wir ja, es geht jährlich bergauf. Über unsere Karrieren haben wir uns keine Gedanken gemacht“, sagt der 49-Jährige. Damals, das waren die 80er Jahre. Da konnten sich die Studenten noch Zeit lassen, um „sich selbst zu finden“, erinnert sich Hoffmann. Nach der Uni traf die jugendliche Sorglosigkeit schnell auf handfeste Probleme. Seine Schulden begleiten Hoffmann inzwischen seit 16 Jahren.

1983, ein Jahr bevor er an die Uni ging, wurde die Ausbildungsförderung BAföG von einem Grund- in ein Volldarlehen umgestellt. Die 750 Mark, die der damals 27-Jährige monatlich vom Staat bekam, muss er daher heute komplett zurückzahlen. Trotzdem bereut er es nicht, studiert zu haben: „Dadurch gehe ich heute ganz anders mit Wissen und Informationen um.“

Eine wissenschaftliche Laufbahn hat Hoffmann allerdings nie eingeschlagen. Jahre lang war er Besitzer einer Kneipe in Köln. Schließlich wurde es dem Fiskus zu bunt. Die Kneipe wurde vor kurzem gepfändet, die Staatskasse wartet immer noch auf sein BAföG-Geld. Ein Mindesteinkommen, bei Hoffmann 850 Euro im Monat, bleibt allen Schuldnern zum leben. Alle zwei Jahre überprüft das Bundesverwaltungsamt seine Einnahmen. Der Zahltag wurde bis heute Jahr für Jahr aufgeschoben.

Was die Fälle unterscheidet: Während Hoffmann einen gleich bleibenden Schuldenbetrag mitnimmt, dürfte er beim Nachwuchsakademiker Winkler durch die Zinsen immer größer werden. Der Neu-Student hofft daher auf seinen Akademiker-Vorteil. Mit einem Uni-Abschluss würde er zu einer privilegierten Gruppe gehören. Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit einem Universitätsabschluss steht laut OECD im Vergleich mit der Zahl von Arbeitslosen mit Hauptschulabschluss in einem Verhältnis von eins zu fünf. „Wir haben im Vorfeld intensiv recherchiert, bevor wir unseren Studienkredit angeboten haben“, versichert Alexander Mohanty, Sprecher der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Demnach sei auch die Rückzahlungsquote von Krediten bei Akademikern besonders hoch.

Die meisten Studenten scheuten einen Kredit, so Mohanty. „Die Verschuldung für ein Studium hat in Deutschland keine Tradition“, bestätigt Günther Remmel von der Arbeitsgemeinschaft der Studentenwerke in NRW. Dennoch wird sich die neue Studentengeneration an das Studium auf Pump gewöhnen müssen. Weil durch die neuen Bachelor-Master-Struktur der zeitliche Druck auf die Studenten gestiegen sei, gebe es oft keine Zeit mehr für Nebenjobs. „In diese Nische rücken die Kredite“, so Remmel. Seiner Einschätzung nach kommen düstere Zeiten auf einige Studenten zu: „Fünf bis sechs Jahre nach dem Examen noch 50.000 Euro Schulden durch Kredite zu haben – auch damit müssen sie rechnen.“

Diese Rechnung haben auch ehemalige Mitschülerinnen von Martin Winkler gemacht. Zwei von ihnen hätten sich wegen der drohenden Schulden gegen ein Studium entschieden. Dass auch viele andere Jugendliche in NRW das finanzielle Risiko nicht in Kauf nehmen möchten, bestätigt inzwischen auch Landes-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP). Er musste vergangene Woche eingestehen, dass sich auch wegen der Einführung der Studienbeiträge 3.500 Studenten weniger als im Vorjahr an den Hochschulen im Land eingeschrieben haben.

Ob mit oder ohne Studienbeitrag – Martin Winkler investiert in seine Zukunft. Und: „Ich finanziere mir meine Ausbildung selbst.“ Das bedeute für ihn Unabhängigkeit von Zuwendungen seiner Eltern. Natürlich sei es schön, wie die „Studenten von damals“, im Studium auch mal eine Auszeit zu nehmen und den letzten Lebensabschnitt vor dem Eintritt in die Arbeitswelt zu genießen. Doch ehrgeizig, wie er nun mal ist, heißt es nun für ihn: „Rein ins kalte Wasser“.