Studium auf Pump floppt

Schrecken Studiengebühren vom Studium ab? Bislang haben nur wenige Erstsemester in Niedersachsen Darlehen für Studiengebühren aufgenommen. Und die Zahl der Studienanfänger im Land sinkt allerorten

VON KAI SCHÖNEBERG

Seit dem Sommer spielen sich bei der Sozialberatung des Studentenwerks in Hannover immer öfter tragische Szenen ab: „Das sind dramatische Fälle, denen auf einmal klar wird, wie teuer ihr Studium wird“, sagt Studentenwerks-Sprecherin Sabine Kiel. Offenbar lassen sich viele von den seit diesem Wintersemester erstmals in Niedersachsen erhobenen Studiengebühren in Höhe von 500 Euro abschrecken. Niedersachsen ist das erste Bundesland im Norden, dass Studiengebühren für Erstsemester eingeführt hat. Im kommenden Semester sollen alle Studierenden zahlen. Für Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) ein „Meilenstein der niedersächsischen Hochschulpolitik“, der den Uni-Etats bis zu 130 Millionen Euro jährlich bringen soll.

Allerdings zeichnet sich ab, dass entgegen Stratmanns Beteuerungen gerade sozial Schwache vom Studium abgehalten werden. Von den 3.700 Studienanfängern, die sich bis jetzt an der Uni Hannover eingeschrieben haben, beantragten bis jetzt nur 140 ein Studiendarlehen. Auch anderswo ist das Studium auf Pump offenbar ein Flopp. In Oldenburg haben bis jetzt gar nur 85 von etwa 2.000 Erstsemestern den Kredit beantragt. Das Ministerium kann erst nächste Woche genauere Zahlen vorlegen, ist aber „überrascht“ über die bislang geringe Akzeptanz des Darlehens.

Einige seiner Kommilitonen gingen jetzt „arbeiten, anderen war die Gebühr offenbar zu hoch“, sagt Daniel Josten, der Sprecher der Landeskonferenz der Allgemeinen Studierendenausschüsse. Zurzeit bereiten alle Asten den Gebühren-Boykott vor, der ab dem kommenden Semester starten soll. Sabine Kiel vom hannoverschen Studentenwerk weist auf den angespannten Lehrstellenmarkt hin: „Dorthin werden die Abiturienten, denen das Studium zu teuer ist, abgedrängt.“ Wieder andere Studierende wandern in ein gebührenfreies Nachbar-Bundesland ab (siehe unten).

Schon bei der Immatrikulation können Studierende in Niedersachsen einen Kredit bei der NBank zu einem Zinssatz von derzeit 5,95 Prozent aufnehmen. Ausgeschlossen sind Nicht-EU-Bürger und über 35-Jährige. Das Darlehen wird maximal vier Semester über die Regelstudienzeit hinaus gewährt. Zwei Jahre nach Uni-Ende beginnt die Rückzahlung. „Auf keinen Fall halten Gebühren Studierwillige vom Studium ab“, betont Stratmanns Sprecher Thomas Reiter. Auch das Darlehenssystem sei sozialverträglich. Abstottern müssten nur die, die auch zahlen könnten.

Die sinkende Zahl von Studienanfängern habe nichts mit den Gebühren zu tun, betont Reiter. Insgesamt sind die Erstsemester-Kapazitäten an Niedersachsens Hochschulen in diesem Semester erneut um etwa 1.300 auf 28.000 im Vergleich zum Vorjahr gesunken. In Göttingen sank die Zahl der Neueinschreibungen um 350 auf 3.400, an der Uni Hannover sogar um 700 auf 3.600. Das jedoch liegt vor allem weniger Geld für die Unis und an der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Die sind derart betreuungsintensiv, dass die Hochschulen den erforderlichen Notenschnitt angehoben haben, damit sie die Studenten auch tatsächlich angemessen betreuen können.

Die SPD hat ausgerechnet, dass Stratmann seit 2003 insgesamt 5.800 Studienplätze abgebaut hat. Das sei eine „politische Bankrotterklärung“, donnert die Hochschulexpertin Gabi Andretta. Während Baden-Württemberg ab 2007 rund 16.000 neue Studienplätzen schaffen wolle, „droht Niedersachsen zum ‚Auswanderungsland‘ für studierwillige junge Menschen zu werden“, so Andretta.