Die Zukunft des Imperiums

In den USA ringen vier außenpolitische Denkschulen um die Rolle Amerikas in der Welt. Wer nach den Kongresswahlen den Ton angibt, hängt auch von der Haltung Europas ab

Wächst die Opposition weiter an, könnte sie Bush zur Korrektur seiner Hegemonial-politik zwingen

Im Sommer skizzierte die Washington Post das Dilemma des US-Präsidenten: Er stehe in Afghanistan, im Irak und in Somalia unter Druck und sei unfähig, im Nahen Osten für Frieden zu sorgen. Seine Verbündeten seien skeptisch, die restliche Welt kritisch bis feindlich gestimmt. Die Neokonservativen drängten ihn zu einem Angriff auf den Iran und Nordkorea, doch die Bevölkerungsmehrheit habe das Vertrauen in ihn verloren. Er wolle die Truppenstärke im Irak senken, um Mittel für künftige Einsätze freizumachen. Gleichzeitig habe er wiederholt erklärt, dass der Tod von 2.700 US-Soldaten im Irak verlange, „bis zum Ende durchzuhalten“. So gehe ein verlorener Krieg immer weiter.

Bush ist ein Gefangener imperialen Hochmuts geworden. Es ist aber nicht nur sein eigener, denn er wird von der gesamten Nation geteilt. Dabei gibt es über die Rolle der USA in der Welt keine echte Debatte. Viele unserer akademischen Experten, Manager und Beamten kennen die Welt, die hinter unseren Grenzen liegt, finden aber kaum Gehör. Einfache Bürger dagegen müssen in einem ideologischen Supermarkt einkaufen gehen, der ihnen widersprüchliche Bilder von der Welt anbietet.

Der US-Präsident und seine Anhänger glauben, dass Gott den USA einen Auftrag erteilt habe, die gefallene Welt zu erlösen. In den USA gibt es eine Art calvinistischer Nationalkirche, die aus Katholiken, Anhängern der orthodoxen Ostkirche und Juden besteht: Sie glauben, dass die USA das Recht zur Beherrschung der Welt besäßen – alles andere gilt ihnen als Ketzerei. Für diese Partei der imperialen Hegemonie sind Autoritarismus im Inneren und Aggression nach außen legitime Mittel, die dem geheiligten Zweck dienen.

Die Idee von der Errettung der Welt wurde durch Bushs Rhetorik vom „Feldzug für die Demokratie“ säkularisiert. Angesichts der Regierungen, welche die USA seit 1898 weltweit eingesetzt oder unterstützt haben, mutet die Vorstellung grotesk an. Daran, dass sie diese Idee wie eine Seifenmarke zu Markte trägt, lässt sich die tiefe Verachtung unserer Elite für die US-Bevölkerung erkennen. Und in der Tat sollen mit dieser Rhetorik die hässlichen Ölflecken ausgewaschen werden.

Die andere imperiale Partei in den USA sind die Realisten, deren historisches Oberhaupt Henry Kissinger ist. In einem Interview in The National Interest formulierte er im Sommer 2006 große Zweifel an der Hegemonialideologie von Bush wie auch an dessen Staatskünsten. Realisten wie er haben keine Einwände dagegen, dass die USA ihre Macht brutal einsetzen, aber sie wollen schlagkräftig bleiben in einer widerspenstigen Welt. Ganz so, wie Bankiers und Industrielle ihre Gewinn-und-Verlust-Rechnungen aufmachen, denken viele Heeresoffiziere sowie Beamte der CIA und des Außenministeriums in diesen Begriffen.

Daneben gibt es noch die Multilateralisten, die in Wirklichkeit nicht selten Unilateralisten sind, weil sie sich darunter das freiwillige Befolgen von US-Befehlen vorstellen. Sie sprechen gerne von „Soft Power“ und gehen davon aus, dass es immer möglich ist, einen gemeinsamen Boden geteilter Werte zu finden, der die internationale Zusammenarbeit beseelt. Sie verweisen auf große Beispiele aus der Vergangenheit – die Nato und das US-Bündnissystem, den IWF und die globale Finanzstruktur – als Beweis für die Erfolge des Multilateralismus. Auch den „Krieg gegen Terror“ begreifen sie als ein Gemeinschaftsunternehmen vielfacher Bündnisse.

Und schließlich gibt es da noch die Fraktion der Antiimperialisten: Sie lehnt alle hegemonialen Ansprüche ab und will die Entmilitarisierung der Außenpolitik und eine sehr viel stärkere Einbindung der USA in die Vereinten Nationen erreichen. Dafür schwebt ihr eine sehr weitgehende Neuorganisation der USA im Inneren vor – denn sie glaubt, dass den USA und der Demokratie am besten gedient sei, wenn die vielen Unzulänglichkeiten der US-Demokratie reduziert würden. Stark vertreten sind solche Stimmen aber nur an den Universitäten, in der Politik kommen sie kaum zu Wort.

Zwischen diesen vier Gruppen gibt es Überschneidungen. Die Demokraten sind in der Regel entweder Multilateralisten oder Antiimperialisten. Die Republikaner dagegen vertreten meist eine entschiedene Hegemonialpolitik oder verstehen sich, wie auch viele Demokraten, als Realisten. Die protestantischen Fundamentalisten fühlen sich durch die Bibel zur US-Hegemonie berufen. Die katholische Kirche und die liberalen Protestanten sind entweder Multilateralisten oder Antiimperialisten, wobei es zwischen den Theologen und dem Laienstand durchaus Unterschiede gibt. Die Israel-Lobby hat sich zu den Hegemonisten gesellt, dabei zählte eine Mehrheit der amerikanischen Juden bis vor kurzem noch eher zu den Multilateralisten. Doch Lobbygruppen kommen und gehen, das imperiale Projekt bleibt.

Leider haben unsere Eliten nach wie vor Schwierigkeiten, aus der Geschichte zu lernen. Die Generäle, die von 1898 bis 1916 gegen die kubanischen, philippinischen und mexikanischen Nationalisten gekämpft haben, waren Veteranen der Feldzüge gegen die amerikanischen Ureinwohner. Ihre Urenkel, die heutigen Generäle im Irak, waren zuvor als jüngere Offiziere in Vietnam. Dennoch glauben viele, dass nur der US-Nationalismus authentisch sei. Zweihundertsiebzehn Jahre der Versuche, Lateinamerika zu beherrschen, haben uns Castro, Chávez, Morales und Obrador beschert. Doch sie alle werden in den USA als historische Sonderfälle betrachtet.

Realisten dominieren in der Armee und im Außenministerium, Antiimperialisten nur an den Hochschulen

In den Kongress- und Senatswahlen, die jetzt im November anstehen, haben es die Republikaner mit einer tief gespaltenen Demokratischen Partei zu tun. Dennoch sind die Republikaner verzweifelt, weil sie fürchten, der Irakkrieg könnte ihre Niederlage besiegeln. Doch ganz egal wie die Wahlen ausgehen – es könnte sein, dass Bush danach nur noch an seinen Platz in der Geschichte denkt. Er könnte dann mit aggressiver Rücksichtslosigkeit gegen den Iran vorgehen. Der Präsident könnte aber auch gezwungen sein, Rumsfeld abzusetzen, Cheney zu ignorieren, den Irak in die Unabhängigkeit zu entlassen und mit dem Iran zu verhandeln – vorausgesetzt, die bereits beachtliche Opposition von Außenamtsbürokratie und Heeresoffizieren gegen seine Politik wächst weiter an. Diese wiederum benötigt die Rückendeckung von Realisten, Multilateralisten und Antiimperialisten, Demokraten wie Republikanern.

Diese Opposition würde gestärkt, wenn die Staaten der EU für ihre Unterstützung in Afghanistan und andernorts einen höheren Preis verlangen würden. Sie könnten von den USA, im Rahmen einer internationalen politischen Lösung, den Rückzug aus dem Irak verlangen, ein nachdrücklicheres Engagement im Nahen Osten und eine zumindest stillschweigende Verpflichtung, den Iran nicht anzugreifen. Ob die Europäer den Mut dazu haben, ist jedoch fraglich. Genauso wie es fraglich ist, ob und wann sich die USA aus ihren imperialen Zwängen befreien können. NORMAN BIRNBAUM

Aus dem Amerikanischen von Rosemarie Nünning