Migrantenkinder sind unterfordert

Eine Studie zeigt: Migranten lernen schlechter, weil zu wenig von ihnen erwartet wird. „Ihre Fähigkeiten werden untergraben“, sagen Forscher. Der Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund hängt also nicht von Sprachkenntnissen ab

AUS BERLIN CIGDEM AKYOL

Die weit verbreitet These, wer gut Deutsch spreche, sei auch gut in der Schule, wurde nun durch eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) widerlegt. Die Studie basiert auf Forschungen aus den USA, die in Deutschland bisher kaum bekannt waren.

Demnach entscheide über einen Bildungserfolg das Vertrauen, das Lehrer in die Fähigkeiten ihrer Schüler setzen. Vor allem bei Kindern mit Migrationshintergrund erwarten die Pädagogen weniger als bei deutschen Schülern. Sie trauen ihnen schlicht viel weniger zu. Diese Vorurteile haben eine paradoxe Wirkung: Die Schüler erbringen dann tatsächlich schlechtere Leistungen.

Alleine die Sorge eines Kindes, aufgrund eines Stereotyps vorverurteilt zu werden, wirke sich nachteilig auf intellektuelle Fähigkeiten aus. Die Angst, für dumm befunden zu werden, beeinflusse die Leistung.

Die Studie zeigt: Je niedriger die Messlatte der Lehrer, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Schüler tatsächlich schlechtere Leistungen bringen. Der Anspruch an die eigene Leistung sinkt, Schulleistungen verlieren an Bedeutung. „Die vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten der Kinder werden schlicht untergraben“, kritisiert Amélie Mummendey von der Universität Jena. Die Sozialpsychologin, die an der Studie mitwirkte, warnt davor, das Beherrschen der deutschen Sprache mit Intelligenz gleichzusetzen. Auch an leistungsschwache Schüler müssten hohe Erwartungen gestellt werden, damit diese auch gefördert werden, so Mummendey. Gerade Bildung gelte als der Königsweg in die soziale Integration.

Ein Weg, den viele Kinder nicht gehen können. Nicht, weil sie nicht wollen. Sie können es einfach nicht. Denn in kaum einem anderen Industrieland hängen die Bildungschancen eines Kindes so stark von seiner sozialen Herkunft ab wie hier. Kindern aus bildungsfernen Familien – oder aus der „Unterschicht“, wie es momentan heißt – und aus Einwanderermilieus werden in ihrer Bildungslaufbahn eklatant benachteiligt.

So haben viele Kinder in Deutschland ihre Chance auf eine bessere Zukunft schon verspielt, bevor sie überhaupt begonnen hat. Tatsachen, welche von der aktuellen Pisa- und OECD-Studie unterstrichen werden. Insgesamt 14 Prozent der Schüler in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Eine Minderheit sind sie schon lange nicht mehr. Jeder Fünfte aber bricht die Schule vorzeitig ab. Schüler mit einem Migrationshintergrund haben ein dreimal so großes Risiko, eine Klasse zu wiederholen, wie Kinder mit deutscher Herkunft. In der Grundschule ist das Risiko sogar viermal so groß. Migrantenkinder sind an Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert. Die Leistungsschwachen werden gettoisiert. Damit sinken die Chancen der nichtprivilegierten Kinder, einmal eine gute Beschäftigung zu finden. Ihnen drohen Arbeitslosigkeit und Armut.

Ulrich Thöne, der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, bezeichnet „die Ideologie der Auslese als leistungshemmend“. Er bestätigt, dass viele Lehrer ihre Schützlinge bei sprachlichen Mängeln seltener an weiterführende Schulen empfehlen, um diese „vor den negativen Erfahrung einer Abschulung“ zu schützen.“

Thöne bekräftigt, genau wie die Studie, dass die Einteilung in leistungsstarke und leistungsschwache Schüler und Schultypen vor allem die Entwicklung leistungsschwächerer Kinder hemmt und damit Bildungsungleichheit verstärkt. „Deswegen müssen die Klassen heterogener zusammengesetzt werden“, fordert er. „Das momentane System der Auslese ist hochgradig unsinnig“, sagte Thöne der taz.