Pleiten und Scherben

„Die neue Ausgestaltung des Rücknahmesystems ist das Problem“ „Ökologisch ist die Umsetzung des ElektroG ein Desaster“

Von BEATE WILLMS

Mehr als drei Jahre hatte der alte Fernseher im Keller der Schröters vor sich hin gegammelt. Die Ratinger Familie hat kein Auto und wusste einfach nicht, wie sie den Schrott loswerden sollte. Dann trat Ende März das Rückholsystem des Elektroaltgerätegesetzes (ElektroG) in Kraft – und das Problem war gelöst. Jedenfalls für die Schröters. Das alte Stück ging – separat angemeldet und rausgestellt – mit der nächsten Sperrmüllabfuhr weg. „Und ich musste nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben“, sagt Anna Schröter. „Die Geräte werden jetzt ja komplett verwertet.“

Schön wär’s, meint Frank Sven Oynhausen. Dabei wäre das Recycling genau sein Job gewesen. Doch für den Inhaber der Detronik & Recycling GmbH in Kamp-Lintfort war schon im Frühjahr klar: Dass die Bundesregierung das ElektroG ausgerechnet von der Elektroindustrie umsetzen ließ, war eine politische Fehlentscheidung. Allerdings hätte er damals nicht gedacht, dass die sein Lebenswerk zunichte machen würde. Gerade ein halbes Jahr nachdem das ElektroG in Kraft getreten war, prangte auf der Website seiner Firma ein großes Kreuz. Der Entsorgungsfachbetrieb hat seine Arbeit eingestellt. Mitverantwortlich dafür, sagt Oynhausen, sei das neue Gesetz gewesen. „Funktionierende kommunale Strukturen wurden durch ein völlig neues System zerstört, in dem es einzig auf niedrige Preise und hohe Gewinne ankommt.“

Oynhausen stand nicht nur sprichwörtlich vor einem Scherbenhaufen: Auf dem Hof türmten sich zersplitterte Bildröhren, die nicht mehr zu recyceln waren. Statt die zerbrechlichen Altgeräte in extra Gitterboxen zu transportieren, wie Oynhausens Leute es früher getan hatten, kippten die nun zuständigen fachfremden Logistikunternehmen den Inhalt der Container einfach auf das Pflaster.

So war das ElektroG nicht gedacht. Sein Ziel ist es, Elektroschrott so effektiv und ökologisch wie möglich zu verwerten. Allein die Deutschen produzieren pro Kopf und Jahr rund 13 Kilogramm des Sondermülls: ausrangierte Kühlschränke und Waschmaschinen, kaputte Fernseher, Leuchtstoffröhren, veraltete Mobiltelefone, Computer und Kinderspielzeug, die nicht nur teure Metalle, sondern auch giftiges Quecksilber, Cadmium- und Bleioxid oder Fluorkohlenwasserstoffe enthalten. Das neue Gesetz sollte hier Abhilfe schaffen, indem es die Hersteller auch für die Entsorgung ihrer Produkte verantwortlich macht. Dazu haben die Lobbyverbände der Elektronikindustrie und der Informationstechnologie, ZVEI und Bitkom, eigens die Stiftung Elektro-Altgeräte Register (EAR) gegründet, die nun hoheitliche Rechte hat.

4 Kilogramm Altgeräte sollen pro Kopf und Jahr zurückgeholt werden. Das ist die europäische Vorgabe. Und es ist nicht viel. Schon im Jahr 2002 kamen nach Angaben des Umweltbundesamtes 3,38 Kilogramm zusammen. „Es geht aber nicht nur darum, die Rückgabe für den Verbraucher zu erleichtern und sich ansonsten irgendwie durchzumogeln“, sagt Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die die Umsetzung des ElektroG im Auftrag des Umweltbundesamtes beobachtet. „Wichtig ist, dass die Altgeräte und ihre Bestandteile auch tatsächlich hochwertig verwertet werden.“

Hier allerdings hakt es gewaltig, wie Oynhausens Geschichte zeigt. Mit einem Umsatz von 5.600 Tonnen war die 1995 gegründete Detronik zuletzt einer der größten TÜV-zertifizierten Entsorgungsbetriebe für Elektronikaltgeräte in Nordrhein-Westfalen. Um Einzelteile auch direkt für die Reparatur defekter Geräte nutzen zu können, demontierten die zwölf festangestellten Mitarbeiter einen Großteil des Elektroschrotts per Hand. „Ganz oben stand bei uns die Wiederverwendung“, sagt Oynhausen. Noch funktionstüchtige oder reparierte Kühlschränke oder Fernseher kamen in einen Secondhandladen oder wurden über eBay wieder verkauft. Und: Wie viele andere der rund 300 mittelständischen Demontagebetriebe in Deutschland beschäftigte Detronik auch Langzeitarbeitslose und behinderte Jugendliche.

Das Unglück begann mit dem neuen Rücknahmesystem der EAR. Bis dahin hatten Oynhausen und Co die Altgeräte selbst entweder direkt beim Kunden oder an den kommunalen Sammelstellen abgeholt. Nun sammeln die Kommunen erst einmal alles nach Gerätegruppen getrennt ein. „Ganz viele behalten die sogenannte weiße Ware wie Kühlschränke und Waschmaschinen, die am meisten Geld bringt, für sich“, sagt DUH-Abfallexpertin Eva Leonhardt. Entsorgern wie der Detronik fehlt dieses Geschäft nun. Und für den Transport der übrigen Altgeräte sind nun plötzlich von den Herstellern beauftragte Transportunternehmen zuständig. Oynhausens erster Eindruck: „Ich dachte, mich trifft der Schlag. Da blieb kaum etwas heil.“ Die Reste waren nicht mehr sauber zu zerlegen. Mehr noch: „Das war schon gesundheitsgefährdend.“

Das bestätigt auch Selicia Thiemann vom Staatlichen Amt für Arbeitsschutz in Essen. Die stellvertretende Amtsleiterin darf zwar keine Auskunft über einzelne Unternehmen geben. „Aber man kann sagen, es gibt allgemein ein größeres Problem“, sagt sie. „Ganz besonders bei den Bildröhren.“

Das Recycling von Bildröhren, eine der Detronik-Spezialitäten, ist eine hochkomplizierte Angelegenheit. Unterschiedliche Glassorten müssen säuberlich voneinander getrennt, die giftigen Beschichtungen in einem geschlossenen System abgesaugt werden – Bildröhren enthalten Blei, Nickel, Arsen und oft auch noch Cadmium. „Immer häufiger kommen die Röhren jetzt aber schon kaputt bei den Verwertungsfirmen an“, sagt Thiemann. „Oder sie implodieren beim Abkippen.“

Nach den Arbeitsschutzrichtlinien dürfen kaputte Bildschirme überhaupt nicht weiterverarbeitet werden. Thiemann: „Cadmiumoxid beispielsweise ist gefahrenstoffrechtlich eingestuft. Es ist krebserregend, giftig und umweltschädigend.“ Wenn sie ihre Mitarbeiter dem Risiko aussetzen, damit in Kontakt zu kommen, machen sich die Betriebe strafbar. „Wir können den Betrieben aber nur Auflagen machen“, sagt Thiemann. Und dann sei es schwer, deren Einhaltung zu kontrollieren. „Betriebsschließungen sind vermutlich unverhältnismäßig.“ So hat Thiemann gemeinsam mit der Dezernatsleiterin Edith Jörg sowohl die Sammelstellen als auch die Entsorger angeschrieben und gebeten, darauf zu achten, dass das Material nicht zerstört wird. „Wir brauchen aber eine übergeordnete Lösung“, sagt Jörg.

„Die neue Ausgestaltung des Rücknahmesystems ist das Problem“, sagt Jörg Lacher, Sprecher des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse), in dem die mittelständischen Unternehmen organisiert sind. Die Stiftung EAR, die die Umsetzung des ElektroG für die Industrie koordiniert, führt eine Liste, in der die Hersteller nach Produktionsmengen aufgeführt werden. Meldet eine Kommune einen vollen Container, muss der Hersteller, der bundesweit als Nächster an der Reihe ist, ein Logistikunternehmen losschicken, das einen neuen Container aufstellt und den vollen mitnimmt.

Die Transportunternehmen haben also keinerlei vertragliche Verbindung zu den eigentlichen Entsorgern – und deswegen auch kein besonderes Interesse daran, die Altgeräte so heil wie möglich abzuliefern. Lacher: „Hier geht der Preis längst vor Umwelt. So sind die geforderten Recyclingquoten nicht einzuhalten.“

Das befürchtet auch die Deutsche Umwelthilfe. Sie stellte schon im Frühsommer fest, dass es nicht nur bei den Bildröhren, sondern auch bei der Demontage von Kühlschränken eher Rück- als Fortschritte gibt. Hintergrund ist der heftige Preiskampf in der Entsorgungsindustrie. Während der Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) als offiziellen Preis für das Recycling eines Kühlschranks 15 Euro nennt, sind die tatsächlich gezahlten Preise nach Informationen von DUH-Kreislaufwirtschaftsspezialistin Eva Leonhardt häufig nur halb so hoch.

„Die Entsorgung ist in Deutschland inzwischen so billig wie nirgends sonst“, sagt Lacher. Das treibt auch die Konzentration auf dem profitablen Entsorgungsmarkt voran. „Es ist ein Geschäft für die Großen geworden“, so der bvse-Sprecher. Der größte deutsche Entsorger, Remondis, soll sich bereits einen Marktanteil von rund 40 Prozent gesichert haben.

Von den rund 300 mittelständischen Entsorgungsunternehmen, die schon früher Elektronikschrott recycelt haben und sich mit dem ElektroG noch bessere Chancen ausgerechnet hatten, stehen inzwischen eine ganze Reihe vor der Aufgabe. Mit der Demontage von Hand und oft genug auch ihren sozialen Strukturen können sie sich die Dumpingpreise nicht leisten. „Damit dürften die in der Vergangenheit relativ anspruchsvollen Verwertungsstandards in Deutschland weiter sinken“, sagt DUH-Expertin Leonhardt.

„Ökologisch ist die Umsetzung des ElektroG ein Desaster“, findet auch Lacher. Mischglas beispielsweise könne man nur noch als Bergversatz verwenden, also um stillgelegte Stollen aufzufüllen. „Nicht sehr effektiv, wenn man bedenkt, dass das alte Bildröhrenglas im geschlossenen Kreislauf direkt und praktisch zu 100 Prozent wieder zu teurem Bildröhrenglas werden könnte.“

Nach Lachers Beobachtungen enthält schon auf den Wertstoffhöfen jeder zweite Container nur noch Bruch. „Beim Transport in die Recyclinganlagen wird das noch viel schlimmer.“ In der Branche kann man sich inzwischen alles vorstellen: „Der Schrott wird doch bei jeder dritten Ladung gleich nach Polen gebracht – und von da nach Afrika“, sagt ein Kollege von Oynhausen, der nicht namentlich genannt werden will.

Die EAR, die Herstellerverbände und die im Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft zusammengeschlossenen großen Entsorger sehen derzeit keinen Handlungsbedarf. Auch beim Umweltministerium sieht man keinen Grund, einzugreifen. „Für den Vollzug sind die Bundesländer zuständig“, sagt Sprecher Thomas Hagbeck. Und deren rechtliches Instrumentarium reiche aus. Die Länder wiederum verweisen darauf, dass noch keine konkreten Anzeigen eingegangen seien. DUH-Expertin Leonhardt bestätigt, dass „alle möglichen Verstöße gegen das ElektroG auch strafbewehrt“ sind. Allerdings fehle es bislang noch an einem Monitoring, das die ganze Entsorgungskette kontrolliert. „Der Bruch, der beim Entsorger ankommt, kann ja überall entstanden sein“, sagt sie. „Vielleicht waren die Geräte schon beim Abgeben kaputt, vielleicht ist es beim Einsammeln passiert – oder eben beim Abkippen.“ Zudem sei der Druck sehr stark. „Wenn der Recycler sich weigert, das Zeug anzunehmen, und den Transporteur wieder zurückschickt, verliert er seinen Auftrag.“ Eine Anzeige, von der er nicht weiß, ob und wann sie zu Konsequenzen führt, nütze ihm da wenig.