Kosten, Kalküle & Komplexe

SZENISCHE LESUNG Komplexes Thema, das Komplexe auslöst: Pheline Roggan, Denis Moschitto und Thomas Ebermann bringen Fanny zu Reventlows „Der Geldkomplex“ auf die Bühne

Hinterlassen hat Franziska zu Reventlow statt Geld ein reiches literarisches Erbe

VON ROBERT MATTHIES

Nicht zu bändigen war ihre Widerspenstigkeit ein Leben lang: 1871 als Tochter eines preußischen Landrats und Schwester eines deutschnationalen und späteren Nazi-Politikers im Schloss vor Husum geboren, war Fanny Gräfin zu Reventlow eigentlich ein sittsames Leben beschieden. Aber mit einem stereotypen Leben als Hausfrau, Gattin und Mutter inmitten aristokratisch-großbürgerlicher Militärtrunkenheit und geld- und fortschrittsgläubigen wilhelminischen Gründergeistes hatte der spätere Star der wilden Schwabinger Bohème schon als junge Frau so gar nichts am Hut.

Bereits nach einem Jahr wurde sie aus dem Thüringischen Mädchenpensionat, in dem sie zur höheren Tochter reifen sollte, ihres rebellischen Betragens wegen relegiert, trotzte daraufhin ihrer Familie eine Ausbildung am Roquetteschen privaten Lehrerinnenseminar in Lübeck ab und floh schließlich von der Flensburger Pastorenfamilie, bei der sie nach der Entdeckung eines heimlichen Liebesbriefwechsels zur Besserung untergebracht war, nach Wandsbek, wo sie ihren späteren Ehemann, den Gerichtsassessor Walter Lübke, kennenlernte. Der finanzierte ihr ein Studium als Malerin – als die sie ihre künstlerischen Ambitionen zeitlebens nie tatsächlich umzusetzen wusste –, aber auch seinen fürsorglichen Armen entfloh die „Skandalgräfin“ nur drei Jahre später.

Und führte fortan in München ein nicht zuletzt ihrer Geringschätzung der Sparsamkeit wegen von andauernder finanzieller Not gezeichnetes, aber eigenständiges Leben unter Malern, Dichtern, Philosophen und Musikern. Ihren Lebensunterhalt bestritt die „Schwabinger Gräfin“ mehr schlecht als recht mit Übersetzungen, schriftstellerischen Arbeiten, Engagements als Schauspielerin und zahlreichen Gelegenheitsjobs – als Köchin, Versicherungsagentin, Glasmalerin oder Messehostesse und Prostituierte. Den Rest schnorrte sie bei ihren zahllosen Bekanntschaften zusammen.

Aussicht auf ein wenig Entspannung vom Stress der permanenten Geldnot und der dadurch erzwungenen Entsagungen bot erst die Scheinehe mit dem kurländischen Baron Alexander von Rechenberg-Linten, die sie am Lago Maggiore einging, nachdem sie München – wo sie mittlerweile wegen ihres unehelichen Kindes, dessen Vater sie zeitlebens geheim hielt, und ihrer erotischen Freizügigkeit unter anderem als Wiedergeburt der antiken Hetäre galt – 1910 verlassen hatte. Aber auch südlich der Alpen blieb ihr das ersehnte Vermögen verwehrt: die 20.000 geerbten Mark gingen schon 1914 im Bankenkrach für immer verloren. Vier Jahre später starb Franziska zu Reventlow, immer noch verarmt, 47-jährig an den Folgen eines Fahrradunfalls.

Hinterlassen hat sie statt Geld ein reiches literarisches Erbe: Tagebücher, Romane und Novellen, die vor allem durch ihren einzigartigen satirischen Humor bestechen. Darunter auch der 1916, kurz nach dem Bankrott ihrer Hausbank, entstandene stark autobiografisch gefärbte und „meinen Gläubigern zugeeignet[e]“ Briefroman „Der Geldkomplex“, der auf ebenso charmant-selbstironische wie kapriziös-verspielte Weise ihre lebenslange erhitzte wie enttäuschende Liaison mit dem Pekuniären zum Thema macht – und dazu noch die gerade entstandene Psychoanalyse mit schallendem Gelächter auf den Arm nimmt.

Darin ist die Erzählerin auf Anraten eines freudianischen Psychiaters in einer „Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das klingt immerhin noch etwas milder“, gelandet. Um ihren, so der Freudianer, „Geldkomplex“ – ihre andauernden „Rechenanfälle“ und ihre „qualvolle Beziehung“ zum Wesen Geld – zu kurieren. Doch die Patientin selbst versteht sich keineswegs als krank: Ursache für ihre Probleme ist kein „Geldkomplex“ – sondern ganz schlicht Geldmangel. Und so kommt die Heilung nicht wirklich voran. Dafür entwickelt sich der Aufenthalt unter lauter gescheiterten Existenzen zur immer verrückter werdenden Angelegenheit. Und am Ende steht die Einsicht, dass auch das Dasein „im Zeichen des Bankerotts“ durchaus seinen Charme hat: „So lässt sich ganz gut leben.“

Am Montag bringt die Vers- und Kaderschmiede die erstaunlich aktuelle Satire auf die wahnsinnige Psychologie des Geldes in einer szenischen Lesung auf die Bühne. In die Rolle der skandalösen Gräfin schlüpft die Schauspielerin Pheline Roggan, ihren Psychoanalytiker, den Miterben sowie all die skurrilen Mitpatienten spielen Denis Moschitto und Thomas Ebermann.

■ Mo, 15. 11., 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 54