„Befreiung des Hörens“

KONZERTTAGUNG Die „projektgruppe neue musik“ (pgnm) lädt zum 16. Festival: „OhrenBlicke. Klangaktionen zeitgenössischer Musik“

■ 53, ist Komponist, Gymnasiallehrer und Mitbegründer der pgnm.

Interview HENNING BLEYL

taz: Herr Rasch, wie wichtig ist es der „projektgruppe neue musik“, ein etwas breiteres Publikum zu erreichen?

Uwe Rasch: Wir wünschen uns das sehr. Deswegen suchen wir ja immer nach Kooperationsmöglichkeiten und veranstalten Konzerte an Orten wie dem Güterbahnhof oder, dieses Jahr, in der Schwankhalle. Allerdings ist die Hoffnung, damit auch automatisch deren Stammpublikum zu erreichen, oft trügerisch.

Um aus dem engeren akademischen Zirkel herauszukommen, könnte man auch Angebote für Kinder machen. Die sind doch ohnehin am offensten für Ungewohntes!

Das stimmt. Ich selbst arbeite ja auch an der Schule und hole meinen Musik-Leistungskurs zu den Konzerten dazu – mittlerweile tun das auch Kollegen, so dass immerhin 45 SchülerInnen an der Tagung teilnehmen werden. Aber Oberstufenschüler sind in der Tat schon nicht mehr so offen für freie Klangerfahrungen wie jüngere Kinder.

Warum also bleiben die Kinder bei der pgnm außen vor?

Letztlich hängt das an den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Unsere Arbeit geschieht komplett ehrenamtlich. Da noch zusätzlich ein Kinderprogramm auf die Beine zu stellen, würde uns überfordern. Das ginge nur mit Kooperationspartnern.

Charakteristisch für die pgnm-Tagungen ist die Mischung aus Konzerten und theoretischen Podien. Was hat sich im Lauf der letzten 16 Jahre dabei verändert?

Früher hatten wir explizite Tagungstitel wie „Todesmetaphern“ – wir waren sozusagen thematisch auf der Suche nach blinden Flecken der Moderne. Dann haben wir gemerkt, dass uns das unnötig einengt. Jetzt ist der Anspruch, in Bremen Musik zu präsentieren, die im Mainstream anderer Festivals nicht vorkommt. Außerdem sind die Tagungsreader dünner geworden – wir wollen die Leute nicht mehr mit so viel Theorie erschlagen.

Sie selbst haben heute Abend eine Uraufführung für 12 Vokalsolisten und ein Video mit dem Titel „hab et swa is ait en“, 3. Teil. Was sagt uns das?

Man könnte es übersetzen mit: „Haben zwei Seiten“. Ich habe diesen vielleicht manieristisch wirkenden Titel gewählt, weil er meinem Umgang mit dem zu Grunde liegenden Text entspricht: „Der dritte Polizist“ von Flann O‘Brien. Daraus habe ich eine Art Libretto gemacht, von dem allerdings in der Komposition nichts mehr vorkommt. Das entspricht für mich dem Phänomen der Medialisierung: Wir erhalten Informationen, die notwendigerweise falsch sind, weil sie nicht unseren authentischen Erfahrungen entsprechen können. Unvermeidbar fehlen immer eine oder mehrere Dimensionen.

Von „hab et swa is ait en“ wird heute Abend der dritte Teil uraufgeführt. Was ist mit den ersten beiden?

Die wurden noch nie aufgeführt. Übrigens gibt es eine Statistik, der zu Folge 95 Prozent aller aufgeführten Stücke nur einmal aufgeführt werden – bei ihrer Uraufführung.

Vor neun Jahren – da wurde gerade „pro musica nova“ beerdigt – sagten Sie: „Bremen wird für Künstler immer unattraktiver. Man kann Komponisten nur raten: Haut so schnell wie möglich ab von hier.“ Ist es seither wieder besser geworden?

Nein. Es stellt sich höchstens die Frage: Wohin soll man denn gehen, wenn man hier abhaut? In anderen Städten brechen die Förderungen ja auch weg.

Aber mittlerweile gibt es immerhin den Versuch, die „pro musica nova“ zu reanimieren.

Ich verstehe das als Rückeroberung des Sendesaals durch Radio Bremen – aber ob sich das verfestigen lässt, ist fraglich.

Auf was freuen Sie sich bei der pgnm-Tagung am meisten – abgesehen von Ihrer Uraufführung?

Darauf, dass die Schüler richtig in die Bredouille kommen. Sie haben die große Chance, produktiv mit ihrer Überforderung umzugehen. Wenn man sich fragt: Warum ärgert mich diese Musik? ist das ein wichtiger Schritt zu Befreiung des Hörens.

„hab et swa is ait en“: Am Samstag um 21 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen. Das Gesamtprogramm: www.pgnm.de