WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Carlos und die Blekingegade

Der Spitzname „Schakal“ für den aus Venezuela stammenden Ilich Ramíres Sánchez ist ein Missverständnis. Der Name geht auf ein Gerücht zurück, wonach 1975 bei der Durchsuchung einer Wohnung des Terroristen in Paris ein Exemplar des Romans „Der Schakal“ von Frederick Forsyth gefunden wurde. Ein Gerücht, das auch Eingang in den Titel der deutschen Fassung von Olivier Assayas Film „Carlos – Der Schakal“ gefunden hat.

Kein Gerücht hingegen: Bei einer Schießerei 1975, in deren Verlauf in Paris zwei französische Geheimdienstmitarbeiter und der frühere Carlos-Vertraute Michel Moukharbal von Carlos erschossen wurden, stellten die Fahnder Aufzeichnungen sicher, die auf eine Zusammenarbeit militanter Palästinenser mit einem Netzwerk in Dänemark hinwiesen. Michel Moukharbal war ein hochrangiges Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), für die auch Carlos weltweit unterwegs war. In den bei Moukharbal sichergestellten Aufzeichnungen stand, dass die Verbindungen über Arif M abgewickelt werden müssten. Der wiederum sei über eine Dänin unter der Postfachnummer „Brev. Box Center BBC“ in der Kopenhagener Vesterbrogade 208 zu erreichen. Rätselhaft blieb der Eintrag „KAK KOUF mit verschiedenen Mitglieder“ oder „Zufuhr der rumänischen Ware“ (KAK KOUF).

Bei KAK und KOUF hätte es klingeln müssen. Erst 20 Jahre später aber wurde entschlüsselt, dass mit KAK ein den Maoisten nahestehender „Kommunistischer Arbeitskreis“ und mit KOUF dessen kommunistischer Jugendverband KUF gemeint war. Mourkharbal hatte den Begriff KUF mit OU, der französischen Form des U-Lauts notiert.

Die jahrelange Unterstützung der PFLF durch dänische Aktivisten hat der Journalist Peter O. Knudsen offen gelegt („Der innere Kreis. Die Blekingegade-Bande“, Osburg Verlag, 2010). In Dänemark wird heute die Blekingegade-Bande (benannt nach der Adresse einer in Kopenhagen aufgeflogenen konspirativen Wohnung) mit der RAF verglichen. Doch da gibt es einen Unterschied: Die Überfälle der Gruppe waren zwar politisch motiviert, die Organisation handelte aber vollkommen anonym. Im Bewusstsein der Dänen agierten sie über 30 Jahre als ganz normale Bankräuber. Wie die Organisation schließlich aufflog (zufällig!) und wie viele Millionen sie auf welche Weise für die PFLP beschaffte, wäre der Stoff für ein weiteres fünfstündiges Kinoerlebnis.

■  Der Autor ist Redakteur der taz Foto: privat