Zivi-Zahlen im Sinkflug

Der Zivildienst wird immer kürzer, gleichzeitig werden immer weniger junge Männer überhaupt gemustert. Die Folge: In sozialen Einrichtungen und Naturparks bleiben viele Stellen unbesetzt

Von Kai Schöneberg
und Sven-Michael Veit

„Reden statt schießen“ – mit diesem Motto sucht die Schutzstation Wattenmeer in Rendsburg nach Zivildienstleistenden. Im Nationalpark an der Nordseeküste sollen sie als Wattführer arbeiten und „im Schlamm wühlen“, verheißt die Homepage des Naturschutzvereins: „Vogelschutzgebiete einzäunen, Vögel zählen, Öl wegschaufeln“ sind die Aufgaben, die junge Kriegsdienstverweigerer erwarten. „Wir haben 22 Zivi-Stellen“, sagt Christof Goetze von der Schutzstation, „und immer ausreichend Bewerber dafür.“ Damit steht die Schutzstation besser da als viele anderen Organisationen.

Denn in Norddeutschland ist zurzeit nur rund jede zweite Zivildienststelle besetzt. Für die 2.606 Plätze in Hamburg gibt es nach Angaben des Bundesamtes für Zivildienst in Köln nur 1.360 Zivis. In Bremen sind es 644 Ersatzdienstleistende auf 1.248 Stellen, in Niedersachsen sind von 11.123 Plätzen nur 6.108 belegt, in Schleswig-Holstein sind von 3.737 Plätzen 46 Prozent unbesetzt. Gründe für den Rückgang sind die nur noch neun Monate lange Zivildienstzeit. Außerdem werden immer weniger junge Männer überhaupt gemustert.

„Schuld“ daran hat die abgewählte Bundesregierung, die mittelfristig sogar die Abschaffung der Wehrpflicht plante. „Unter Rot-Grün galt der Zivildienst aus Auslaufmodell“, sagt Christiane Meiners vom Diakonischen Werk in Hannover. Allein hier gibt es zurzeit zwar über 1.845 Stellen, aber nur noch 824 Zivis. Seit einigen Jahren sind die Zahlen im Sinkflug, Altenheime, Krankenhäuser, Pflege- und viele andere soziale Einrichtungen müssen den Verlust durch Ehrenamtliche oder Helfer aus dem Freiwilligen Sozialen Jahr ausgleichen.

Bei der Diakonie in Hamburg ist die Lage ähnlich: Auf seinen 1.410 Plätzen beschäftigt der soziale Dienst der evangelischen Kirche derzeit nur 589 Zivis. Im Sommer lag die Auslastung sogar nur bei 20 Prozent, sagt die Sprecherin der Diakonie Hamburg, Katharina Weyandt. „Die Einrichtungen müssen ohne die Zivis auskommen“, konstatiert sie. Deshalb wirbt die Diakonie extra für den Zivildienst: „Wir brauchen die Zivis nach wie vor“, sagt Weyandt.

„Manches bleibt jetzt liegen“, berichtet Roland Knillmann von der Caritas in Osnabrück. Viele Senioren müssen nun alleine einkaufen, Zivis lesen Bedürftigen nichts mehr vor, Wochenenddienste in Krankenhäusern sind nicht mehr so gut besetzt wie früher. Die Caritas versucht derzeit mit einem Modellprojekt, die Lücken mit „Kurzzeit“-Freiwilligen zu schließen, die die Zeit bis zum Beginn von Studium oder Ausbildung überbrücken wollen. Auch im Bistum Osnabrück sind von 769 Zivi-Plätzen nur 328 belegt.

Die Verkürzung der Dienstzeit auf neun Monate schreckt vor allem Umweltschützer ab. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in Hamburg lässt seine letzte von einst drei Zivi-Stellen zum Jahresende auslaufen, berichtet Geschäftsführer Manfred Braasch. Er setzt stattdessen auf mehr Interessierte am Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ). „Die Besetzung mit Zivis ist nicht effektiv“, sagt Braasch, „weil es dann immer im Sommer drei Monate Lücke gibt.“ Zivildienstleistende fangen gewöhnlich am 1. August an, Ende April hören sie auf. Das FÖJ aber dauert wie das Freiwillige Soziale Jahr zwölf Monate.

Das Wattenmeerbüro des World Wide Fund for Nature (WWF) im nordfriesischen Husum bietet deshalb bereits bezahlte Praktika in zwei Teilen an. Sechs Wochen vorher „zum Einarbeiten“, berichtet Biologin Kriemhild Schrey, und nach dem Ende des offiziellen Zivildienstes weitere drei Monate „zum Überbrücken und zum Einarbeiten des Nachfolgers“.

Denn sommerliche Vakanzen können sich die Naturschützer im Tourismusmagneten Nationalpark Wattenmeer nicht leisten – mitten in der Hochsaison.