„Völlig neue juristische Qualität“

Die EU fordert von der Bundesregierung eine Erklärung zu ihrer Beteiligung beim Energiekonzern Eon. Wirtschaftsjurist Tim Drygala prophezeit rechtliche Prüfung

taz: Herr Drygala, Eon hat den Rekordkredit von 37 Milliarden Euro aufgenommen, um die Übernahmeschlacht um den spanischen Energieversorger Endesa zu gewinnen. Was heißt das für die deutschen Verbraucher?

Tim Drygala: Ein solcher Kredit steigert natürlich den Druck auf die Konzernleitung, aus dem Unternehmen rauszuholen, was rauszuholen ist.

Das heißt: Die Zeche zahlen die Stromkunden, also wir?

Nicht zwangsläufig. Aber der Anreiz, die Rendite von Eon auf der Einnahmenseite weiter zu steigern, ist sicherlich verlockend groß. Es kann ja schließlich gar nicht anders sein: Dieses Geld muss verdient werden.

Die spanische Regierung will nicht, dass Eon dieses Geld in Spanien verdient, und will die Übernahme verhindern. Hat sie Angst vor den Deutschen?

Sie hat Angst vor ausländischen Investoren. Frankreich, Schweden, Spanien – Regierungen vieler Staaten haben eine Präferenz für den nationalen Anbieter. Erstens ist die Energieversorgung die Achillesferse einer jeden Volkswirtschaft. In der Politik besteht zweitens die Überlegung, dass man auf ein nationales Unternehmen leichter und stärker Einfluss nehmen kann als auf ein multinationales. Man kennt sich. Man sitzt im Aufsichtsrat. Die Strukturen sind über Jahre gewachsen – auch die Personalstrukturen. Es gibt also regelmäßige Kontakte, geölte Kanäle. Das fällt nach einer Übernahme natürlich weg: Dann hat der andere das Sagen. Außerdem: Bei einem nationalen Energieversorger kann man an den Patriotismus appellieren. Massenhaft Arbeitsplätze abzubauen ist nicht ganz einfach, wenn es gleichzeitig heißt: Ein spanisches Unternehmen schadet Spanien. Ein multinationalen Unternehmen interessiert das wenig.

Eon ist gegen die spanischen Abwehrversuche vor EU-Gerichte gezogen und hat gewonnen. Erstaunt Sie das?

Nein. Auch Spanien hat für mehr Wettbewerb innerhalb Europas gestimmt. Dahinter kann Spanien nicht zurück – nur weil es den eigenen Versorger trifft.

Nun kommt heraus, dass Eon selbst gegen eine fremde Übernahme geschützt ist. Der deutsche Staat besitzt bei Eon ein Mitspracherecht, Spanien bei Endesa aber nicht.

Juristisch ist das deutsche Mitspracherecht etwas ganz anderes als die Schranken, die Spanien aufgestellt hat: Es handelt sich um einen ganz speziell auf Ruhrgas zugeschnittenen Einfluss der Bundesregierung: Falls Eon irgendwann von einem Konkurrenten geschluckt werden sollte, kann die Regierung veranlassen, dass Ruhrgas vorher aus dem Eon-Verbund herausgelöst werden muss.

Analysten sagen aber: Ohne Ruhrgas ist Eon als Übernahmekandidat völlig uninteressant, mit dagegen ein Schmankerl? Also doch eine Form von deutschem Protektionismus?

Das ist zumindest eine völlig neue juristische Qualität. In den Fällen, die der Europäische Gerichtshof bislang auf der Grundlage der Markliberalisierung und des freien Wettbewerbs entschieden hat, hatte der Staat stets wesentlich weitreichendere Einflussmöglichkeiten.

Das heißt: Deutschland ist nur cleverer als die Spanier?

Das wird sich erst noch zeigen. Nicht umsonst beschäftigt sich die EU mit der deutschen Klausel. Ich bin sicher, dass darüber letztlich die Gerichte befinden werden. Und wenn tatsächlich rauskommt, dass diese deutsche Klausel ein Wettbewerbsnachteil für die Konkurrenz ist, dann wird sie für ungültig erklärt.

INTERVIEW: NICK REIMER