Gefährliche Chemikalien außer Mode

Viele Unternehmen verzichten freiwillig auf gefährliche Chemikalien in Kleidung, Spielzeug und Handys. Bei den übrigen sollte die EU mit ihrer Chemikalienrichtlinie Reach nachhelfen, findet neben Greenpeace auch der Textilkonzern H & M

AUS HAMBURG GERNOT KNÖDLER

Für Chemikalien, die Krebs erzeugen, das Erbgut schädigen oder unfruchtbar machen, muss und kann schnell Ersatz gefunden werden. Das hat Greenpeace gestern in Hamburg deutlich gemacht. Eine entsprechende Regelung müsse in die geplante EU-Chemikalienrichtlinie Reach aufgenommen werden, forderte die Umweltorganisation. Dass es möglich ist, auf gesundheitsgefährdende Stoffe zu verzichten, bewiesen Unternehmen wie die Modefirma H & M, die freiwillig auf Alternativen setzen. „Statt den Märchen von Arbeitsplatzverlusten und Markteinbrüchen durch Reach zu glauben, sollten sich europäische Entscheidungsträger mit innovativen Unternehmen treffen“, sagte Corinna Hölzel von Greenpeace.

Die Richtlinie zur „Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien“ (Reach) soll einerseits die Wissenslücken über die vielen tausend Chemikalien in unserer Umwelt schließen. Andererseits soll sie die Entwicklung neuer Chemikalien erleichtern. In der Europäischen Union wurden bis 1981 mehr als 100.000 Chemikalien angemeldet. Im Gegensatz zu den Stoffen, die nach 1981 registriert wurden, sind diese aber nicht eingehend auf eine mögliche Gefährlichkeit hin untersucht worden. Reach sieht vor, dass 30.000 dieser 100.000 Altchemikalien untersucht und die gewonnenen Erkenntnisse veröffentlicht werden. Das betrifft alle Stoffe, von denen mehr als eine Tonne im Jahr hergestellt wird. Im Gegenzug soll die derzeit geltende Regel, nach der neue Stoffe ab einer Jahresproduktion von zehn Kilogramm getestet werden müssen, aufgehoben werden. Nach 1981 sind rund 3.800 neue Chemikalien auf den Markt gekommen.

Um die Gestaltung der Richtlinie wird noch gerungen. Am 15. November soll sie vom EU-Parlament verabschiedet werden und im April 2007 in Kraft treten. Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat sich am 10. Oktober mit großer Mehrheit dafür ausgesprochen, dass gefährliche Stoffe nur für fünf Jahre zugelassen werden. Danach müsste neu nachgewiesen werden, dass es noch immer keine Ersatzstoffe gibt (taz berichtete). Das aufwändige Prüfverfahren soll die Firmen motivieren, sich nach Alternativen umzusehen.

Greenpeace will erreichen, dass diese Regel das Gesetzgebungsverfahren übersteht. Der Verband der chemischen Industrie dagegen hält nichts von einem „generellen Substitutionsgebot“. Die Unternehmen seien selbst daran interessiert, gefährliche Stoffe zu ersetzen, weil sie dann einfacher produzieren könnten, sagt Thomas Holtmann vom Verband. Manchmal sei es „vielleicht eher geboten, verantwortlich mit bekannten Risiken umzugehen als unbekannte zu schaffen“.

Die deutsche Bundesregierung will für die Chemikalien, die Krebs erzeugen, das Erbgut verändern, unfruchtbar machen oder das Hormonsystem beeinflussen können, „Wirkungsschwellen“ einführen. Bis zu diesen Grenzwerten soll es erlaubt sein, die umstrittenen Stoffe zu verwenden – selbst wenn es Alternativen gibt.

Die gibt es reichlich: Andere Materialien, neue Konstruktionsprinzipien und pfiffige Herstellungsverfahren machen die gefährlichen Stoffe überflüssig. Die Firma Lego hat 1985 begonnen, PVC zu ersetzen. Nokia-Mobiltelefone sind seit 2005 PVC-frei. Ikea verzichtet überdies auf Azofarben in Textilien. Bei H & M gibt es eine Liste von 120 Stoffen, die gar nicht oder nur unter Auflagen verarbeitet werden dürfen. „Reach wird es uns erleichtern, bedenkliche Chemikalien in unseren Produkten zu vermeiden“, sagte H & M-Pressesprecher Mathias Geduhn. „Es ist leichter, wenn sämtliche Hersteller nach den gleichen Regeln produzieren“, findet er.

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