Wie ein Kompromiss zum Kunstwerk wird

Die Fraktionsführungen der Koalition tun alles, um die Gesundheitsreform so schnell wie möglich zu verabschieden. Ironie soll den Schmerz über den Abschied von alten Zielen lindern. Aber SPD-Linke drohen noch mit Widerstand

BERLIN taz ■ Wahre Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Was der schottische Philosoph David Hume 1757 postulierte, gilt auch für die neueste deutsche Gesundheitsreform, die heute im Kabinett beschlossen wird. Man wolle „das fertige Bild noch schöner machen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer gestern über die letzten Verhandlungen über Details der Reform. „Das läuft alles so gefällig, dass man gar nicht mehr viele Worte darüber verlieren muss“, befand CDU-Kollege Norbert Röttgen.

Wie gewünscht, stimmten die beiden Regierungsfraktionen Union und SPD am Nachmittag dafür, den Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Die Gegenstimmen lassen sich verschmerzen. Mit feiner Ironie.

„Noch schöner“, „gefällig“ soll sie also sein: Ausgerechnet die Gesundheitsreform, über die sich die Koalitionäre bis zuletzt gestritten hatten. Deren Entstehungsgeschichte erst am Montag wieder zu einem äußerst feindseligen Schlagabtausch im CDU-Vorstand zwischen Bundes- und Landespolitikern führte. Röttgens Wohlgefallen ist nur mit seiner Rolle zu erklären. Er ist kein Ministerpräsident. Niemals würde es ihm einfallen, fehlendes Profil der Union im Regierungsalltag zu beklagen, wie es der Landesfürst Peter Müller von der Saar gerade tat. Er ist auch keiner der Experten für Gesundheit, die mit der Reform allesamt unzufrieden sind. Röttgen ist erst recht kein Philosoph, sondern: Parlamentarischer Geschäftsführer der Union – und als solcher vorrangig für eines zuständig: Den reibungslosen Ablauf beim Gesetzabnicken.

Aus der jobbedingt leicht eingeengten Sicht der Fraktions-Zusammentrommler gibt es schlicht nichts Wichtigeres als die klare Mehrheit, die es gestern gab – jedenfalls in der Union. Das freut auch CSU-Heerführer Ramsauer. Die abschließende Detailarbeit, fabulierte Ramsauer gut gelaunt, diene der Vorbereitung der heutigen „Vernissage“ im Kabinett. Die Gesundheitsreform – ein Kunstwerk.

Im Bemühen, die Reihen fest zu schließen, wird Kritik von außen ebenso ausgeblendet wie der eigene Anspruch. Da ist es egal, dass das Reformwerk der Regierung Angela Merkel nur noch wenig mit dem großen Wurf zu tun hat, den sich die Oppositionsführerin Merkel einst vornahm. Als sie 2003 von Gesundheitsprämien sprach, dachte sie nicht an einen höchstens einprozentigen Zusatzbeitrag. Die SPD wiederum wollte gar keine Kopfpauschale, auch nicht diese „kleine“. Um ihr die Zustimmung zu erleichtern, wurde schnell noch zugesichert, dass für Sozialhilfeempfänger und arme Rentner der Staat den Zusatzbeitrag übernimmt. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, er sei auf das Verhandlungsergebnis „stolz“. Trotzdem sollen nach ersten Schätzungen nur rund 60 Prozent der SPD-Abgeordneten für die Reform gestimmt haben. „Der Druck baut sich jetzt erst auf“, drohte der linke Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mit weiterem Widerstand bis zur Endabstimmung im Parlament im Dezember.

Die Union dagegen will das leidige Thema so schnell wie möglich abhaken. Bei aller Freude über die Beschlussfähigkeit, sitzt der Ärger über den vorausgegangenen Streit tief. Zu den schlechten Umfragewerten sagte Röttgen: „Das liegt daran, dass in den vergangenen Monaten nur ein Thema fokussiert betrachtet worden ist.“ Nämlich die Gesundheit. LUKAS WALLRAFF