Zum Wohle des Privatpatienten

Deutsche Ärzte warnen vor einer Staatsmedizin. Die Niedergelassenen wehren sich gegen eine Gleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten

Ärzte fürchten, dass die Zuwendungen aus dem Gesundheits-fonds sinken

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Außerordentliche Ärztetage finden außerordentlich selten statt, aber in den letzten Jahren häufen sie sich: Nach 2003 hatte die Bundesärztekammer gestern zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik das Ärzteparlament zu solch einer Sondersitzung zusammengerufen. Anlass ist wie schon vor drei Jahren eine Gesundheitsreform. Der aktuelle Gesetzentwurf wird heute im Bundeskabinett verabschiedet. Dagegen zogen 250 Vertreter der Landesärztekammern nach Berlin und auf die Barrikaden.

Einen sofortigen Stopp der Reform forderte Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe. Die Pläne der großen Koalition führten das Gesundheitswesen mit Volldampf in die Staatsmedizin, so der hagere Pathologe. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung und Vertreter der Opposition stimmten ins Konzert der Schmähungen mit ein.

Die Ärztelobby stößt sich vor allem an drei Punkten der geplanten Reform: zum einen am Gesundheitsfonds, denn mit diesem werde das Gesundheitssystem unter staatliche Kuratel gestellt, so Hoppe in einem Beitrag für die Ärztezeitung. Wenn im Jahre 2009 der Fonds als zentrale Geldsammelstelle eingeführt wird, sollen nicht mehr die Krankenkassen sondern der Staat über die Höhe der Beiträge bestimmen. Die Ärzte fürchten, dass der Finanzpegel im Gesundheitsfonds mit der Zeit sinkt und damit auch ihre Zuwendungen.

Zum Zweiten wehren sich die niedergelassenen Ärzte gegen eine Gleichbehandlung von gesetzlich und privat Versicherten. Für Privatpatienten gilt eine eigene Gebührenordnung, die doppelte und dreifache Sätze für gleiche Leistungen vorsieht. Die Bundesregierung plant, die Gebührensätze moderat anzugleichen. So müssen etwa die privaten Krankenversicherer in Zukunft einen Basistarif anbieten. Die niedergelassenen Ärzte fürchten nun, dadurch Einbrüche beim lukrativen Geschäft mit den Privatversicherten zu erleiden, denn die Sätze sind in diesem Tarif nur noch um den Faktor 1,3 steigerbar.

Am empfindlichsten aber trifft es die Niedergelassenen, dass sie weiterhin nur bis zu einer bestimmten Obergrenze verschreiben und behandeln dürfen. Das verschmähte, weil unkalkulierbare, Punktesystem und die Deckelung der Entgelte werden zwar abgeschafft. Aber eine „Kosten- und Mengensteuerung“ behält sich das Gesundheitsministerium laut Gesetzentwurf weiterhin vor. Bisher erhält ein Arzt Punkte für eine Behandlung, deren Wert er erst am Ende eines Quartals kennt. Denn die Politik hat den Ärzten feste finanzielle Grenzen gesetzt. Weil sich die für drei Monate bemessenen Budgets schnell aufbrauchen, arbeiten die Ärzte am Quartalsende oft umsonst. Gleichzeitig fallen die Punktwerte, je mehr sie arbeiten. Die Ärzte erhalten als Gegenwert für eine Behandlung künftig feste Pauschalen in Euro und Cent. Doch die Politik gibt vor, wie viel Behandlungen medizinisch sinnvoll sind, das heißt bezahlt werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Hoppe, bezichtigt Union und SPD deshalb gemeinschaftlicher „Täuschung, Verschleierung und Irreführung.“

„Wir geben mehrGeld für Medikamente als für dieBehandlungen aus“

Der Hartmannbund, Interessenvertretung der niedergelassenen Ärzte, fordert für seine Klientel 20 Prozent mehr Honorar. Das entspräche etwa 5 Milliarden Euro, die die gesetzlich Versicherten zusätzlich aufbringen müssten. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, kündigt die Ärztelobby im Dezember regionale Praxisschließungen an.

„Da ist viel Geplappere“, meint Dietrich Wulf vom Verein demokratischer Ärztinnen, einer linken Fraktion innerhalb der Ärzteschaft. Praktischerweise würden die Ärzte am Quartalsende streiken, also dann, wenn ihre Budgets sowieso erschöpft seien. Der Bremer Arzt Günther Egidi will sich an dieser Aktion jedenfalls nicht beteiligen: „Es stimmt, wir verdienen deutlich weniger als vor einem Jahr. Aber unseren Patienten geht es im Vergleich dazu noch schlechter.“ Viele Menschen, die er behandelt, leben inzwischen von Hartz IV. Egidi sieht noch Rationalisierungsreserven. Statt mehr Geld ins System zu pumpen, müsste das vorhandene umverteilt werden. Ärzte sollten sich ihrer natürlichen Gegnerschaft zur Pharmaindustrie bewusst werden. „Wir geben mehr Geld für Medikamente als für Behandlungen aus.“

Auch Wulf vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte hält die Forderungen der Kollegen vom Hartmannbund für „gar nicht gerechtfertigt“. „Ein Arzt verdient durchschnittlich 80 bis 85.000 Euro brutto pro Jahr. Man kann nicht sagen, dass das zu wenig ist.“ Die Spannbreite innerhalb der Ärzteschaft sei allerdings gewaltig, räumt Wulf ein. Einige Mediziner lägen deutlich über und andere deutlich unter dem Durchschnitt. „Man muss auch sagen, dass sich die Arbeitsbedingungen insgesamt verschärft haben: mehr Bürokratie, weniger Zeit, weniger Geld.“ Die demokratischen Ärzte haben deshalb ein egalitäres System vor Augen, mit einer solidarischen Bürgerversicherung für alle Patienten. Der Verein ist mit 600 Mitgliedern innerhalb der Ärzteschaft allerdings ein politisches Fliegengewicht.