„Symbol für freie EU-Bürger“

Die neuen EU-Mitgliedstaaten warten auf das Fallen der Schlagbäume, denn sie sind für sie zurzeit der einzige sichtbare Mehrwert des Beitritts, meint die polnische EU-Abgeordnete Barbara Kudrycka

taz: Frau Kudrycka, die neuen Mitgliedstaaten beklagen sich, weil die Grenzbäume nach Osten nicht wie geplant im Oktober 2007 abgebaut werden. Liegt es an der Kommission, den alten Mitgliedsstaaten oder daran, dass Länder wie Polen nicht fit sind für das neue Schengeninformationssystem (SIS II)?

Barbara Kudrycka: Man kann die Probleme nicht voneinander trennen. Ein interner Bericht stellt der EU-Kommission sehr schlechte Zeugnisse aus, was ihre eigenen Vorarbeiten angeht. Die neuen Mitgliedstaaten sind gut vorbereitet und hätten Ende 2007 beitreten können. Doch alles kam ins Stocken, weil die Rechtsgrundlage fehlt. Einige technische Arbeiten hängen davon ab, wie das Gesetz für SIS II aussieht. Rat und Parlament arbeiten noch daran. Hinzu kommt, dass es in dem Gebäude in Straßburg, wo die neuen Computer übergangsweise stehen sollen, technische Probleme gibt.

Die Kommission sagt, gerade in Polen habe sich die Vorbereitung wegen der häufigen Regierungswechsel verzögert. Der Projektmanager habe bereits achtmal gewechselt, nur für eine Ausschreibung von 23 sei eine Firma gefunden …

Vier Aufträge sind meines Wissens vergeben, wir arbeiten auf Hochtouren und könnten in einem Jahr fertig sein, wenn die gesetzliche Grundlage besteht.

Wenn man Politiker aus den neuen Mitgliedstaaten reden hört, bekommt man den Eindruck, ihr Beitritt zum Schengenraum sei keine Frage der Kosten oder der Sicherheit, sondern vor allem eine des Prestiges.

Die Bürger der neuen Mitgliedstaaten warten darauf, dass die Schlagbäume fallen. Für sie ist es ein Symbol dafür, dass sie zu einer Gemeinschaft gehören, in der sich alle Bürger frei bewegen können. Aber auch die Menschen aus den alten EU-Ländern würden gern ohne Formalitäten nach Prag, Budapest oder Krakau reisen. Solange es Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt gibt, Auseinandersetzungen über die Konkurrenz bei Dienstleistungen, ist der Abbau der Grenzkontrollen der einzig sichtbare Mehrwert des Beitritts zur Union.

Sie wissen sicher, dass SIS I mit dreijähriger Verspätung eingeführt wurde. Von den Experten hat niemand ernsthaft damit gerechnet, dass es dieses Mal nach Plan läuft …

(Lacht) Wir sollten das schlechte Beispiel nicht kopieren. Außerdem war SIS I rechtlich eine Angelegenheit zwischen den Regierungen. Mit dem Amsterdamer Vertrag wurde der Schengenraum Teil der gemeinschaftlichen Politik. Damit wird es eine Frage der Glaubwürdigkeit für die ganze EU. Der Rechtsrahmen für den Schengenraum gehört zu dem Gemeinschaftsrecht, das die neuen Mitgliedstaaten beim Beitritt akzeptieren mussten. Sie mussten ein Visa-Regime einführen, alle Kosten tragen, die damit verbunden sind. Nun möchten sie auch die Vorteile davon genießen.

Portugal hat als Ausweg vorgeschlagen, dass für eine Übergangszeit die neuen Mitglieder dem alten SIS beitreten sollen. Wäre das ein akzeptabler Kompromiss für Polen?

Das Problem besteht darin, dass wir zwei technische Systeme parallel aufbauen müssten. Das würde enorme zusätzliche Kosten bedeuten.

Sie sind Berichterstatterin für die Fonds, mit denen die finanziellen Lasten an den Außengrenzen auf alle Schultern verteilt werden sollen. Sind Sie zufrieden mit den Mitteln, die den neuen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden?

Durchaus. Das Geld ist aber auch gut angelegt. Jeder Euro, den wir an der polnischen Grenze ausgeben, kommt der Sicherheit der Bürger in ganz Europa zugute . INTERVIEW: D. WEINGÄRTNER