Laut Denken rettet Pisa-Verlierer

Neues Konzept lässt 15-Jährige noch Lesen lernen. Auf Einladung der Körber-Stiftung kamen seine Erfinderinnen Ruth Schoenbach und Cynthia Greenleaf zum Workshop nach Hamburg. 60 Lehrer lernten die Methode kennen

Rund ein Viertel der Neuntklässler kann Texte nicht richtig lesen und verstehen. Das ist die erschreckende Botschaft der Pisa-Tests. In Deutschland wird seither fast nur über die frühe Förderung von Kindern gesprochen – nicht darüber, wie man der Generation der tatsächlich getesteten Schüler helfen kann.

„Das ist der falsche Ansatz“, sagen Ruth Schoenbach und Cynthia Greenleaf vom WestEd Institut in San Francisco, die auf Einladung der Körber-Stiftung seit Montag einen Workshop in Hamburg abhalten. Ihre 1995 in den USA entwickelte Methode „Reading for Understanding“ verhelfe bis auf eine ganz kleine Gruppe von zwei Prozent allen Schülern zum Lesen, sagen sie. „Wenn Johnny in der 9. Klasse noch nicht gut lesen kann, ist es nicht zu spät“, lautet die Botschaft ihres Konzept. „Die Schüler schaffen es, in sieben Monaten den Rückstand von zwei Jahren aufzuholen“, berichtet Greenleaf. Es sei verkehrt, von einer verlorenen Generation zu sprechen. Jüngste Forschungsergebnisse gingen von einer „Plastizität und immerwährenden Entwicklungsfähigkeit des Gehirns“ aus.

Ein Fehler sei, zu glauben, dass Lesenlernen mit der Grundschule abgeschlossen sei. Das nämlich gelte nicht mal für die guten Schüler. Eine Studie habe gezeigt, dass in den USA nur drei Prozent der 15-Jährigen auf höchstem Niveau Texte analysieren können. Nötig haben die Leseausbildung also fast alle. „Reading for Understanding“, das die Frankfurter Pädagogin Dorothee Gaile 2004 für Deutschland entdeckte und inzwischen in der Hessischen Lehrerfortbildung etablierte, ist Greenleaf zufolge „einsetzbar von der sechsten Klasse bis zur Universität“.

Lesen, sagen sie und Schoenbach, lasse sich lernen wie ein Handwerk. Der Clou ist, dass Lehrer einen Text zunächst gemeinsam betrachten und dabei „laut denken“, um den unsichtbaren „Prozess der Sinnentnahme“ sichtbar zu machen. Schüler, die ja durchaus im Alltag mit Schrift zu tun haben, sollen für die Übungen Schriftstücke mitbringen, beispielweise einen Rap-Song oder die Anleitung für einen Gameboy.

„Es ist zunächst unnatürlich, laut zu denken“, tröstete Ruth Schoenbach die rund 60 Workshop-Teilnehmer, die das Verfahren an der unübersichtlichen Inhaltsangabe einer Cornflakespackung probten. Auf spontane Gedanken folgt die Konzentration aufs Lesen und die Zerlegung des Textes. Schließlich entwickeln die Schüler in der vierten Stufe die Fähigkeit, bewusst zu lesen und werden „Leseexperte“.

Das Verfahren soll in allen Fächern geübt werden, auch Chemie- oder Geschichtstexte haben Eigenheiten, die zu entschlüsseln geübt werden muss. „Es funktioniert besonders gut, wenn die Fachkollegen mitmachen“, sagt Jona Jasper, die in Wiesbaden mit der Methode arbeitet. Um mit den Schülern das laute Denken zu üben, ließ sie sie zunächst Tiere kneten und ihr Tun laut beschreiben. „Es ist Schülern in diesem Alter sehr peinlich, laut zu denken“, erwidert sie auf die Sorge, wie man die Schüler danach wieder zum „leisen Denken“ bewege.

„Reading for Understanding“ wurde 2006 im Ideenwettbewerb „USable“ der Körber-Stiftung prämiert. Den Preis erhielten hessische Lehrer, die halfen, den Ratgeber in Deutsche zu übertragen. Der Titel macht Hoffnung: „Lesen macht schlau“.KAIJA KUTTER