Stars im Weichzeichner

Die einen gehen als Kunstwerke durch, die anderen dienen schnöde der PR: Die Lüneburger Kulturwissenschaftlerin Sabine Lohaus hat die Genese von Plattencovern untersucht und dabei einen neuen Sammeltrend entdeckt. Resultate referiert sie heute in Hamburg

taz: Frau Lohaus, Sie werden heute über die sozio-kulturelle Genese von Tonträgerverpackungen sprechen. Was genau haben Sie analysiert?

Stefanie Lohaus: Ich habe im Wesentlichen Plattencover untersucht und festgestellt, dass es zwei Sorten gibt. Einerseits solche, die auch in Institutionen der Hochkultur gewürdigt werden. In Ausstellungen zum Beispiel. Andererseits solche, die ausschließlich Werbezwecken dienen und keine weiter reichende Aussage treffen. Mich hat der Kontrast zwischen diesen beiden Varianten interessiert.

Wie offenbart sich der?

Sehr konkret. Da gibt es einerseits zum Beispiel Cover wie das „Weiße Album“ oder „Sergeant Pepper’s“ von den „Beatles“ oder das berühmte Warhol-Bananencover von „Velvet Underground“: Die werden durchaus in Ausstellungen präsentiert. Dem gegenüber stehen Cover etwa von Britney Spears oder Michael Jackson, die den Star im Weichzeichner zeigen und nur dazu dienen, den jeweiligen Musiker zu vermarkten.

Sie haben auch die Entwicklung der Tonträgerverpackung in den Blick genommen. Hat sich die Bedeutung des Plattencovers während der vergangenen Jahrzehnte stark verschoben?

Ich habe beobachtet, dass Cover an Bedeutung verlieren und immer weniger interessant werden, weil die Digitalisierung – Musikfernsehen etwa und Internet – inzwischen etliche andere Möglichkeiten der visuellen Darstellung bietet und das traditionelle Cover ein bisschen ersetzt. In den siebziger Jahren zum Beispiel wurde noch sehr viel Geld für Plattencover aufgewendet. Das tut heute kaum noch jemand.

Ist das Cover also nicht mehr verkaufsfördernd?

Doch. Aber es ist nicht mehr so wichtig. Allerdings gibt es immer noch Kreise, in denen die Verpackung extrem wichtig ist – im Bereich der experimentellen elektronischen Musik zum Beispiel. „Rune Grammofon“, ein kleines norwegisches Label, leistet sich zum Beispiel aufwendige, teure Cover. Sie wollen zeigen, dass ihnen das Produkt wichtig ist, und zugleich einen Sammelgegenstand schaffen.

Gibt es einen Trend zum Fetisch Verpackung?

Den gibt es sicherlich. Vor allem aber sagen Marktanalysen, dass der Verkauf von Vinyl-Schallplatten relativ konstant ist. Ich persönlich glaube außerdem, dass viele Leute das Bedürfnis hegen, Musik auch in der Hand zu halten. Beziehungsweise den Tonträger und die Verpackung. Und das wird wohl auch so bleiben.

Sind die Cover für die Szenen bestimmter Musikrichtungen Identität stiftend?

Ja. Über das Cover kann man das Genre klar zuordnen. Über festgelegte Klischees. Charakteristisch ist zum Beispiel der Rocker mit wehenden Haaren, der auf einem Hügel steht. Oder, auf dem typischen Disco-Cover, die bunt angezogenen Girls. Popmäuschen vor silbern glitzerndem Vorhang. Punk-Cover wiederum suchen sich bewusst davon abzusetzen mit ihrer kopierten Do-it-yourself-Ästhetik. Auf Techno-Covers – oft weiß und minimalistisch – ist dann wiederum fast gar nichts drauf.

Die Cover-Macher müssen diese Klischees also bedienen, um erkennbar zu bleiben.

Ja. Und ich würde schon sagen, dass alle diese Regeln befolgen. Und selbst wenn jemand auszubrechen versucht, verselbständigt sich das meistens nach einer gewissen Zeit zu einer neuen, wiederum festgelegten Genre-Ästhetik.

Wie lange hält sich so ein Klischee ungefähr?

Zum Teil sehr lange – wobei solche Entwicklungen ja immer verknüpft sind mit der Musik und der Kultur, die darum herum entsteht. Manchmal entstehen ja auch neue Sub-Genres, die ihrerseits die Ästhetik beeinflussen.

Wer entscheidet konkret über die Ästhetik der Cover?

Das ist verschieden. Bei den großen Plattenfirmen sind es Angestellte. Bei Musikstilen, die eher von unten kommen, sind es die Musiker selbst, oder Menschen aus dem Umfeld der Bands. Eine Regel gibt es aber nicht. Es existiert ja kein Berufsbild „Coverdesigner“.

Welchen Einfluss haben die Rezipienten, die Szene auf die Cover-Ästhetik?

Wenn man aus der Subkultur-Theorie heraus argumentiert, dann gibt es zunächst eine Szene, die Musik macht, die Ästhetik prägt und dann auch wieder konsumiert. Dies wiederum wird von den Medien aufgegriffen und populär gemacht. Letztlich ist es eine Wechselwirkung, deren Richtung man schwer bestimmen kann. Denn die Musiker, die auf dem Cover erscheinen, prägen ja auch den Rezipienten, der sich dann vielleicht die gleiche Kleidung kauft und den Musiker oft als Vorbild betrachtet.

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

Über „Musikverpackung als Merkmal popkultureller Distinktion“ spricht Stefanie Lohaus heute um 19 Uhr im Hamburger Kunstverein