Hamburgs Polizei setzt auf Verdunklung

Offenbar waren auch Hamburger Polizisten beteiligt, als Bremer Kollegen bei Festnahmen am Rande des Hamburger Schanzenfestes Verdunklungsbrillen einsetzten. Gegen die Bremer Beamten ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft

VON ELKE SPANNER

Die Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) der Hamburger Polizei muss neue Akten zu einem alten Fall anlegen: Offensichtlich waren auch Hamburger Kollegen beteiligt, als Beamte Mitte September bei Auseinandersetzungen nach einem Straßenfest im Hamburger Schanzenviertel mutmaßlichen Randalierern mit Verdunklungsbrillen die Orientierung nahmen. Inzwischen ist ein Beweisfoto aufgetaucht, das eine der Festnahmesituationen zeigt – und einen Polizisten, auf dessen Uniform eindeutig das Hamburg-Wappen prangt. Ein zweites Opfer dieser in Hamburg bislang noch nicht angewandten Polizeimethode hat gestern Strafanzeige erstattet.

Bislang ist die DIE davon ausgegangen, dass die Verdunklungsbrillen nur von Bremer Kollegen eingesetzt wurden, die den Hamburgern in jener Nacht Amtshilfe leisteten. Die örtliche Polizei war wegen des parallel laufenden Fußballspieles zwischen dem FC St. Pauli und Bayern München in der Stadt ausgelastet, weswegen auch Kollegen von der Weser ins Schanzenviertel kamen. Nach dem traditionellen Straßenfest kam es zu Auseinandersetzungen. Unbekannte entfachten Feuer und errichteten Straßenbarrikaden. Die Polizei setzte Schlagstöcke und Wasserwerfer ein. Im Gegenzug wurden Beamte mit Flaschen beworfen. Am Ende der Nacht hatten die Polizeieinheiten 29 mutmaßliche Störer festgenommen. Gegen sie und 22 weitere wurde Anzeige wegen Landfriedensbruch und anderer Delikte erstattet. Acht Personen kamen für mehrere Stunden in Gewahrsam.

Bei ihrem Einsatz hatten die Beamten der Bremer „Beweis- und Festnahmeeinheit“ eine Art Schweißerbrille mit dunklen Gläsern dabei, die dem Träger komplett die Sicht nehmen. Vier Festgenommenen, so die Rechtsanwältin Britta Eder, sollen diese Brillen aufgesetzt worden sein. Ein Mann habe mit der Brille eine Dreiviertel Stunde lang orientierungslos auf der Straße stehen müssen, nicht wissend, was um ihn herum und mit ihm geschieht. Bremens Innensenator Thomas Röwekamp hat inzwischen bestätigt, dass diese „Dunkel- und Sichtschutzbrillen“ seit 2003 bereits 34-mal eingesetzt wurden. Die Brillen würden benutzt, sagte Sprecher Ronald Walther damals auf Nachfrage der taz, wenn mehrere Täter festgenommen werden und die Kommunikation zwischen ihnen unterbunden werden soll. „Sie werden separiert, um Gespräche und Augenkontakt zu verhindern.“ Walther bezeichnete die Maßnahme als „nicht einschneidend für den Betroffenen. Er sieht eben nur ein paar Minuten lang nichts.“

Die Hamburger Kollegen sehen das anders. In der Hansestadt gehören Verdunklungsbrillen nicht zum Repertoire der Polizei. Es gibt keine Vorschrift, die den Einsatz von sichtverdunkelnden Masken erwähnt. Die gehören folglich auch nicht zur offiziellen Ausrüstung und sind auch nicht zur Benutzung freigegeben. So nahm die DIE nach Bekanntwerden der Vorwürfe die Arbeit auf. Nachdem die internen Ermittler den Sachverhalt geprüft hatten, leiteten sie den Fall laut Sprecher Joachim Schwanke weiter an die Staatsanwaltschaft.

Sollte sich nun auch bestätigen, dass Hamburger Polizisten an dem Einsatz beteiligt waren, müsste das in das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren „selbstverständlich mit einbezogen werden“, sagte Schwanke. Für Rechtsanwältin Britta Eder, die für zwei Mandanten Strafanzeige erstattet hat, ist der Fall bereits klar: Sie geht davon aus, dass das Abdecken der Augen durch Sichtschutzbrillen eine „unmenschliche Behandlung“ und damit Folter ist. „Wenn es sein muss, werden die Geschädigten die Verfahren vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen“, so Eder.

Bei der Rechtsanwältin häufen sich zurzeit Fälle, in denen die Hamburger Polizei womöglich die Grenze des Zulässigen überschritten hat. Sie hat auch Strafanzeige für einen Mandanten eingereicht, dem Polizisten bei einer antifaschistischen Demonstration in Hamburg am 14. Oktober Nase und Mund zugehalten haben sollen, bis er in Ohnmacht fiel. Dass er diese Tortur erlitten hat, sei ärztlich dokumentiert. Zudem hätten mehrere Zeugen beobachtet, dass Beamte bei Festnahmen Demonstranten den Mund zuhielten, damit sie den Umstehenden nicht ihren Namen zurufen konnten.

DIE-Sprecher Schwanke hat von den Vorwürfen gegen Hamburger Polizisten bisher nichts gewusst. Auf die Verdunklungsmasken angesprochen sagt er, dass diese in Hamburg „ausdrücklich nicht eingesetzt werden“. Die am Einsatz beteiligten Polizisten werden sich jedoch kaum darauf berufen können, dass sie dem unzulässigen Treiben der Bremer Kollegen nur zugesehen haben. Aus der Antwort auf eine kleine Senatsanfrage der GAL-Abgeordneten Antje Möller zu den Ereignissen der Nacht ergibt sich klar, dass dem jeweiligen Vorgesetzten einer Polizeieinheit vor Ort „die Einhaltung von in Hamburg geltenden Regelungen obliegt“.