HABEMUS WLAN

VON ARNO FRANK

Es waren die langsamsten 800 Meter aller Zeiten. Wer schlendert, schafft diese Distanz in bequemen fünf Minuten. Wer sich sehr beeilt, kann die Strecke in 102 Sekunden zurücklegen. Das ist der aktuelle Weltrekord. Meine Zeit liegt bei fast zwei Stunden. Es fühlte sich an wie Google Street View auf einem Rechner, der ständig abstürzt und wieder hochgefahren wird …

Ich war, vom Dom kommend, fröhlich in die Via di Porta Angelica eingebogen und schon ein paar Minuten gedankenlos die Schlange entlangspaziert, bis mir dämmerte, dass ich mich genau dort würde anstellen müssen. Gab es da vorne irgendwas absolut Einzigartiges kostenlos? Etwa die Schlacht an der Milvischen Brücke, wie Raffael sie gemalt hat? Die privaten Gemächer der Borgia, deren kostbare Tapisserien so sportliche Sünden gesehen haben, dass sich selbst der abgefuckteste Pornodarsteller verschämt abwenden würde? Das marmorne Seufzen des Laokoon? Die Sixtinische Kapelle mit dem Jüngsten Gericht von Michelangelo? Genau. Zudem war der Eintritt in die Vatikanischen Museen frei, wie an jedem letzten Sonntag im Monat.

Nun bin ich nicht in einer realsozialistischen Mangelwirtschaft aufgewachsen. So schwankte ich zwischen Panik und Belustigung, die in einer Art Betäubung mündete. Mein Fluchtreflex lähmte anfangs noch die Aussicht, mein Ziel sei dort vorne um die Ecke bestimmt schon erreicht. Oder hinter der nächsten Ecke. Doch auch hinter der übernächsten Straßenecke öffnete sich nur eine weitere endlose Wegstrecke, an deren vagem Ende wieder eine Ecke so lange Hoffnung spendete, bis man sie erreicht hatte und zur Kenntnis nehmen musste, dass es auch dort noch weiterging, beziehungsweise eben nicht, weil von „Gehen“ keine Rede sein konnte. Ich wurde wahrscheinlich wirklich ein paar Zentimeter kürzer, während ich in lähmender Zeitlupe unter brüllender Sonne auf die Piazza del Risorgimento vorrückte und mir buchstäblich die Beine in den Bauch stand. Leute kamen uns entgegen und filmten vergnügt die komplette Schlange ab wie eine Attraktion von eigenem Recht.

Das Gespräch mit den dänischen Ehepaaren vor und hinter mir war allzu schnell erschöpft, nachdem wir unsere Lebensgeschichten ausgetauscht sowie alternative Lebensentwürfe erörtert und wieder verworfen hatten. Meine einzige Unterhaltung waren bald nur noch die Bettler in der Via Leone IV, die ihre verstümmelten Gliedmaßen herzeigten und, in unerreichbarer Ferne auf der anderen Straßenseite, ein Restaurant namens „Habemus Pizza“. Ein Gag, von dem ich ungefähr 20 Minuten zehren musste, bis ich ihn endlich vergessen konnte. Dann fiel mir das Schild erneut ins Auge, und ich lachte fast wie beim ersten Mal. Dabei spürte ich erstmals, wie mich der Wahnsinn überkam.

Diesen Text habe ich soeben in mein Smartphone getippt und versendet. Wer mich sucht, findet mich an der Ecke Viale Vaticano und Via Santamaura, hier gibt es öffentliches WLAN. Bald wird mein Akku leer sein. Gott sei meiner Seele gnädig.