Guter Stoff für einen Krimi

MARX Die ökonomischen Manuskripte in Moskau

Das „Marx-Engels Jahrbuch 2012/13“, das eben erschienen ist, enthält zwei Beiträge zu der Frage, wie Marx’ ökonomische Manuskripte nach Moskau ins Marx-Engels-Lenin-Institut gelangten. Larisa Miskevic hat Dokumente entdeckt, die etwas Licht in das konspirativ abgewickelte Geschäft bringen. Den Moskauer Archivaren wurden Marx-Manuskripte von Marek Kriger angeboten, der sich mit einem Schreiben des Berliner SPD-Parteiarchivs auswies, wonach er die Manuskripte 1933 als Gegenleistung für die Betreuung des Marx-Nachlasses erhalten habe. Kriger erhielt für die umfangreichen Manuskripte, darunter die Vorstudien zum „Kapital“, 1936 die Summe von 17.900 Dollar.

Der letzte Leiter des SPD-Archivs war Zimmermann von Beruf und ausgesprochen dankbar, dass Kriger den Marx-Nachlass etwas ordnete und auch noch Geld spendete für die Erhaltung des Archivs.

Zur Kriminalgeschichte wird der Manuskripttransfer, sobald man fragt, wer dieser Marek Kriger war. Dem geht Jürgen Rojahn mit kriminalistischem Scharfsinn nach. Kriger wurde 1886 in Polen geboren und promovierte 1912 in Wien. Von 1919 bis 1928 war er im diplomatischen Dienst Polens und arbeitete unter anderem in Berlin und Bern. Ab 1939 lebte er in der Schweiz und war von 1946 wieder im diplomatischen Dienst tätig bis zu seinem Tod im Februar 1950.

Das Dokument, mit dem sich Kriger bei den Moskauer Archivaren als rechtmäßiger Eigentümer der Marx-Manuskripte auswies, hatte Kriger auf seiner Schreibmaschine selbst verfertigt. Das im Briefkopf genannte Parteiarchiv existierte am 18. 12. 1933 gar nicht mehr. Eine Unterschrift fehlte. War Kriger ein plumper Fälscher oder Dieb? Die erste Vermutung passt nicht zum Persönlichkeitsbild des als ehrlicher Mensch geltenden Diplomaten und die zweite Vermutung erscheint als absurd: Kriger war nach einer Erbschaft seiner Frau sehr reich. Obendrein existiert ein Dokument von unzweifelhafter Echtheit, das Kriger als rechtmäßigen Besitzer von Dokumenten aus dem Marx-Nachlass ausweist. Weil Kriger das Original 1933 nicht mehr zugänglich war, verfasste er eine Kopie, um sich zu legitimieren.

Kriger war kein Dieb und ein „Fälscher“ allenfalls aus Not. Der passionierte Sammler verkaufte die Dokumente aus Marx’ Nachlass nach Moskau, weil er durch die Devisenbeschränkung des Hitler-Regimes illiquide geworden war. Sein Vermögen war in Berlin eingefroren. Nur sehr gute Krimis bieten mehr Spannung.

RUDOLF WALTHER

■ Internationale Marx-Engels-Stiftung (Hg.): „Marx-Engels Jahrbuch 2012/13“. Berlin 2013, Akademie Verlag, 329 S., 59,95 Euro