Böser Brief für wilde Gänse

Weil die nordrhein-westfälischen Vogelschutzgebiete zu klein sind, hat die EU ein Verfahren eröffnet. Umweltminister Uhlenberg hält das für unsinnig. Naturschützer sehen sich bestätigt

VON MANFRED GÖTZKE

Wenn sie in diesen Tagen wieder auf den Feldern und Wiesen am Niederrhein landen, haben sie eine lange Reise hinter sich. Die Wildgänse kommen aus dem kalten Norden und Osten, aus Sibirien und Skandinavien, und wollen in wärmeren Gefilden überwintern. Der Niederrhein ist seit Jahrzehnten ihre Winterheimat. Seit Anfang 2005 sind sie dort offiziell geschützt, in einem Vogelschutzgebiet. 20.000 Hektar wurden in den Kreisen Kleve und Krefeld sowie in Duisburg ausgewiesen: als Winterruhestätte für Wasservögel und Brutgebiet für gefährdete Vogelarten.

Nach Ansicht der Europäischen Union ist dieses Gebiet nicht groß genug. Es soll auf 50.000 Hektar erweitert werden. Am vergangenen Freitag bekam das NRW-Umweltministerium ein Schreiben, mit dem die EU-Kommission ein Verfahren gegen Deutschland eröffnet. Gegenstand: die Ausweitung des Vogelschutzgebietes.

Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) bezeichnet die Forderung als Unsinn. „Auf eine solche Idee können nur Bürokraten kommen, die keinerlei Kenntnis der Gegebenheiten vor Ort haben“, schimpft er. Das Vogelschutzgebiet sei das zweitgrößte in NRW. „Die EU will uns dafür bestrafen, dass es in Jahrzehnte langen Anstrengungen gelungen ist, die arktischen Gänse überhaupt wieder hierher zu holen.“

Ganz anders sieht das der Naturschutzbund (NABU), der die Wildgänse am Niederrhein seit Jahren beobachtet. Schon seit Jahrhunderten sei der Niederrhein das Hauptüberwinterungsgebiet der Wildgänse, deshalb müssten sie dort besonders geschützt werden. „Das bisher ausgewiesene Gebiet reicht dafür nicht aus“, sagt der Vorsitzende des NABU in NRW, Josef Tumbrinck. Denn die Vögel äsen auf wesentlich weitläufigeren Flächen. Durch Eingriffe in die Landschaft, etwa durch den Abbau von Kies, würde ihr Lebensraum immer weiter eingeengt. „Die Vögel brauchen vor allem Grünflächen – was nicht heißt, dass dort keine Landwirtschaft betrieben werden kann“, so der Naturschützer.

Schon 1998 hat die Organisation für die Europäische Union ein Gutachten erstellt, in dem steht, welche Gebiete für Wildgänse und bedrohte Vögel besonders wichtig sind. 48.000 Hektar Schutzgebiete hat der NABU damals deklariert, die EU hat diese Forderung jetzt übernommen. „Es hat lange gedauert, bis NRW überhaupt aktiv wurde. Wir finden es sehr gut dass die EU jetzt mehr Druck macht“, sagt Tumbrinck.

Ganz überraschend kam die EU-Forderung allerdings nicht. Seit 2001 läuft bereits ein Verfahren, weil Deutschland insgesamt zu wenig Vogelschutzgebiete ausgewiesen hat. Jetzt kommt ein spezielles Verfahren wegen des Gebiets am Niederrhein dazu.

Die Landwirte in der Region sind davon nicht begeistert. Wird eine Ackerfläche zum Vogelschutzgebiet, müssen sich die Bauern an zusätzliche Auflagen halten, können nicht ohne weiteres anbauen, was sie wollen. Und das mindert den Wert des Landes. „Für uns ist das ein Stück Enteignung. Da werden wir uns gegen zu wehren wissen“, sagt Wilhelm Neu von der Kreisbauernschaft Wesel. Die Bauern wollen ihre „Kontakte in Brüssel spielen lassen“, so der Landwirt.

Josef Tumbrinck vom NABU kann diese Aufregung nicht verstehen. Immerhin erhielten die Bauern für die Schäden, die die Gänse auf den Äckern anrichten, vom Land NRW Ausgleichzahlungen von einer Million Euro jährlich.

Ob und wann die Wildgänse auf 50.000 Hektar geschützt werden, wird sich wohl erst in ein paar Jahren entscheiden. „Wenn das Land so hart bleibt, wird das bis an den Europäischen Gerichtshof gehen“, sagt NABU-Chef Tumbrinck. Lenkt NRW dann nicht ein, könnten die Gänse teuer werden: bis zu 780.000 Euro Strafgeld täglich.