Biedersinn und Feierbiester

JUBILÄUM Die Bremer Shakespeare Company feiert ihren 30. Geburtstag und 450 Jahre Shakespeare mit einer Uraufführung. Ob Will das wohl gefallen hätte? Eine Kritik

Wenn das Ensemble der Rollenwirbelei entsagt, mal ganz persönlich die Liebe zu Shakespeare definiert, scheint all das Angedeutete interessanter als der ganze Partyjokus zuvor

VON JENS FISCHER

Das musste gefeiert werden. Der 23. April 1564 wird populärwissenschaftlich so Pi mal Daumen als Geburtstag des Hausheiligen der Bremer Shakespeare Company (BSC) behauptet, die ihre aktuelle Spielzeit als die 30. historisch korrekt belegen und auf 122 Premieren zurückblicken kann, inklusive aller 37 Shakespeare-Dramen.

Mit der 123. Premiere sollte nun die 450. Kerze auf der Geburtstagstorte des Schauspielers, Geschäftsmanns, Dichters, Dramatikers angezündet werden: „Like Shakespeare“ sind die Einladungsplakate fürs Festprogramm überschrieben. Sie zeigen A-Promis der Zeitgeschichte – wie Obama, Putin und den Papst. Implizite Behauptung: Die Mächtigen spielen immer noch Shakespeares Historien und Tragödien – oder andersherum: Shakespeare hat die Essenz der menschlichen Natur im Allgemeinen und die politische Rhetorik im Besonderen so gut beschrieben, dass die Stücke weiterhin „Tagesschau“-aktuell sind.

Während es bundesweit vor allem Festtagsauführungen mit Königen, Mohren, Prinzessinnen, lustigen Weibern, Herren aus Verona, einem Kaufmann aus Venedig gibt, aber auch Wintermärchen, Sommernachtsträume und Macbeth-Albträume – hat die BSC den Mut zu einer Uraufführung. Der am Londoner Globe Theatre tätige Regisseur Raz Shaw gibt sein Deutschlanddebüt mit einem Stück der englischen Dramatikerin Jessica Swale. Sie glaubt zu wissen, „Wie es Will gefällt“, und liefert ein anspielungsreiches Shakespeare-Digest-Libretto als Vorlage für die alle und alles vermengende, intellektuell gut genährte, popkulturelle Collagenästhetik des Meisters: Bühnenarbeiter im Slapstick-Modus sind zu erleben, Interaktionen mit dem Publikum, aus Missverständnissen konstruierte Gags, wortwitzelnde Sketche mit parodistischen Verweisen auf Aktuelles. Dazu ein bisschen Action, Clownerie und zotige Comedy. Damit nicht nur das schlichtere Gemüt in uns angesprochen wird, schleicht Shakespeare gleich zu Beginn des Abends als verdruckster Forscher seiner selbst auf die Bühne, hat als Geburtstagsfestrede aber nur Wikipedia-Wissen und ziemlich sinnfreie Zahlenanalytik über sich und sein Werk parat.

Peter Lüchinger gestaltet das monoton mit professoral verstaubtem Biedersinn: Dabei ist die Rolle ein Königreich für einen Erzkomödianten! Leben in die Bühnenfeierlichkeit bringen Shakespeare-Figuren, die einmal jenseits der Textvorlagen über ihre Stücke, Rollen, Anliegen sprechen und sich mit elisabethanischen Zeitgeistern austauschen dürfen. Als Klischees der Aufführungsgeschichte schlendern sie herein, Hamlet beispielsweise als der bekannt große Zauderer mit ödipalen Neigungen für die Mama, die nur an Sex interessiert ist, egal mit wem.

„Shakespeare war ein Chauvinisten-Schwein“, heißt es daraufhin und Ophelia führt mit Katharina, Isabella, Rosalind, Julia und Titania rappend Klage, dass die Frauen in den Meisterwerken nur Nebenrollen hätten und nicht als Heroinen der Frauenemanzipation daherkämen. Wie sollten sie auch als Mädels des ausgehenden 16., beginnenden 17. Jahrhunderts? Und wer braucht wirklich eine Puritaner-Karikatur als Widerpart, um die Geburt der Shakespeare-Komik besonders hell erstrahlen zu lassen? Ebenso müßig die endlose Debatte, ob „Ein Sommernachtstraum“ oder „Hamlet“ das beste Shakespeare-Werk ist.

Letztlich obsiegt das, was eine fidel sein wollende Geburtstagsparty erwarten lässt: fröhlicher Gesang, lustige Spiele, nette Anekdoten, beste Laune, Luftschlangen-Feuerwerk, riesige Torte. Einige selten so präsent auf der Bühne erlebte Feierbiester sind dabei, vor allem Petra-Janina Schultz weiß zu beeindrucken, aber auch Tobias Dürr und Ulrike Knospe überzeugen.

Ende gut, alles gut? Zu betulich dehnt sich der Abend auf fast drei Stunden, den meisten Szenen fehlt der Rhythmus, vielen Pointen das Timing. Und wenn das Ensemble der Rollenwirbelei entsagt, mal ganz persönlich die Liebe zu Shakespeare definiert, scheint all das Angedeutete erst mal interessanter als der ganze Partyjokus zuvor. Damit könnte der Abend beginnen – als Beweisführung, Vertiefung und theatrale Diskussion des Gesagten. Jetzt aber endet die Aufführung. Als eine der Retro-Revuen auf dem Theaterschiff wäre sie sicherlich ein Highlight. Für eine anregende Auseinandersetzung mit Shakespeare taugt sie nicht.

■ nächste Aufführungen: Donnerstag, 8. Mai, Samstag, 10. Mai, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz