„Lang währende Beziehungen“

FLÜCHTLINGE Rolf Rübsam berichtet von seinen Begegnungen mit jüdischen BesucherInnen

■ 73, begann als Lehrer gemeinsam mit seinen SchülerInnen jüdische Biographien zu recherchieren und beteiligte sich am Besuchsprogramm des Bremer Senats.

taz: Herr Rübsam, Sie haben rund 200 Menschen kennen gelernt, die als alte Leute oder als begleitende Angehörige nach Bremen kamen, wo sie ihrer jüdischen Herkunft wegen verjagt worden waren. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

Rolf Rübsam: Für viele war es schwer, wieder her zu kommen, manchmal aber auch tröstlich. Sehr wichtig ist dabei der Kontakt zu Bremer Schülern. Golly Grünberg, die in der Neustadt aufwuchs, hat in einer Lesumer Schule zum ersten Mal öffentlich über ihre Auschwitz-Erfahrungen gesprochen, woraus eine lang währende Beziehung zu den Schülern entstand. Für mich selbst ist es sehr wichtig zu erfahren, wie es den Betroffenen und ihren Kindern heute geht. Die so entstandenen persönlichen Beziehungen haben mich seit drei Jahrzehnten bei dem Thema gehalten.

Die Biografien der jüdischen Bremer, die Sie recherchiert haben, sind sehr vielfältig. Über die Besuche haben Sie vor allem Menschen kennen gelernt, die die Nazizeit ihrerseits als Schüler erlebt haben.

Sie beschreiben die zunehmende Isolierung ihrer Familien, das Mobbing in der Schule und den erzwungenen sozialen Abstieg ihrer Eltern. Einige sind dann mit den Kindertransporten nach England gekommen, wo es ihnen aber auch nicht immer gut erging. Nach Kriegsausbruch galten viele schon ab 16 Jahren als feindliche Ausländer, die man der Spionage verdächtigte. Es gab sogar Deportationen jüdischer Flüchtlinge von England nach Australien. Auch die, die mit ihren Eltern hatten ausreisen können, wurden nicht selten von ihnen getrennt, weil die Erwachsenen interniert wurden.

Das offizielle Besuchsprogramm des Senats begann 1993, also fast ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Warum so spät?

Natürlich hätte man so etwas schon in den 60er Jahren machen müssen. Dennoch war man in Bremen, in Vergleich zu anderen Städten, relativ früh aktiv. Auch vor 1993 unterstützte der Senat solche Besuche.

Wichtig ist doch auch, aktiv einzuladen.

Gewiss. Zwischen 1993 und 2003 gab es jedes Jahr eine Besuchswoche mit 20 bis 30 Gästen. Mittlerweile sind die Betroffenen, sofern sie noch leben, zu alt zum Reisen. Es gibt nur noch vereinzelte Besuche, aber ich bekomme nach wie vor viel Post. Übrigens existiert auch der Vorschlag, den Nachkommen vertriebener Bremer ein Stipendium für ein Studium an der Bremer Universität anzubieten. Aber das ist bislang nur eine Idee.

Interview: HENNING BLEYL

Vortrag im Staatsarchiv : 18 Uhr