AUSGEHEN & RUMSTEHEN VON TIM CASPAR BOEHMEDREI JAHRZEHNTE „MONARCHIE UND ALLTAG“: WAS IST DAS FÜR EIN PUBLIKUM, DAS DEN POSTPUNK-HEROEN HULDIGT?
: Warten mit den Fehlfarben

Leere Konzerthallen können sehr trostlos sein. Selbst dann, wenn der Raum nicht einmal völlig menschenverlassen ist. Es genügen auch ein paar verloren herumsitzende Gestalten, die sich tapfer an ihren Bierflaschen festhalten. Wenn man also gerade nichts Besseres zu tun hat, kann man an solchen Orten in aller Ruhe sein Umfeld studieren, wie am Sonntag im Lido beim Warten auf die Fehlfarben.

Wie sieht eigentlich das Publikum der Band aus, die mit ihrem Debütalbum vor dreißig Jahren das nunmehr auch laut Rolling Stone offiziell „beste deutsche Album“ aller Zeiten hingelegt hat? Vom Alter her stammt über die Hälfte der Zuhörer anscheinend aus der Generation der Musiker, die später auf der Bühne zu sehen sein werden. Männer mit unauffälligen Brillen in Leder- oder Funktionsjacken in kleinen Grüppchen, vereinzelt Paare. Unter den Jüngeren gibt es nur wenige, die das Erscheinen von „Monarchie und Alltag“ nicht mehr bewusst miterlebt haben dürften. Im Frühling erschien zwar mit „Glücksmaschinen“ gerade die achte Platte der Postpunk-Heroen, doch scheint die Musik nachwachsende Generationen nur bedingt anzusprechen. Vielleicht war es auch bloß der falsche Tag in der Woche.

Statt der angekündigten Radierer als Vorband erscheint dann ein etwas einsamer Doc Schoko mit Gitarre auf dem Podium, um anzukündigen, die Radierer hätten einen Unfall gehabt, zum Glück keine Verletzten, könnten aber trotzdem nicht spielen. Kein schlechter Ersatz, intelligente Texte, schlackenfreie Gitarrenakkorde, doch der Abstand zum Publikum bleibt erstaunlich groß. Wer am Rand des Raums Platz genommen hat, verharrt dort oder sichert sich ein paar Zentimeter an der Theke, um das Geschehen aus sicherer Entfernung zu verfolgen. Man ist ja schließlich für jemand anders gekommen. Unterdessen lässt das kalte Scheinwerferlicht die ausgebesserten Stellen an den Wänden in all ihrer Melancholie erstrahlen.

Als dann die Fehlfarben übernehmen, kommt ein bisschen Bewegung in die Runde. Man wagt sich bis an den Bühnenrand vor, und tatsächlich ist der Saal jetzt auch ganz ordentlich gefüllt. Leider machen die Fehlfarben bei ihrem Auftritt einen etwas verschlafenen Eindruck, und das trotz Schlagzeugerin Saskia von Klitzing, die zusammen mit dem Bass von Michael Kemner das unerschöpfliche Kraftzentrum bildet.

Allerdings sind die Trommeln so stark in den Vordergrund gemischt, dass der Rest der Instrumente zu Klangbreiklumpen gestaucht wird. Zum Glück betreiben die – mit Ausnahme von Klitzing – nicht mehr ganz so jungen Musiker um Sänger Peter Hein keinen reinen Museumskult um sich. Zugaben wie „Paul ist tot“ gibt es natürlich, und auch auf ihren NDW-Hit „Ein Jahr“ können sie nicht verzichten, selbst wenn es dem Konzert gutgetan hätte. Doch die Mischung aus neuen Songs und Grundausstattung geht irgendwie auf. Wenn sie dabei nur nicht den Eindruck erwecken würden, sie täten das alles nur aus Pflichtgefühl ihren Fans gegenüber.