Derricks Erben

Mit „Stolberg“ ermittelt im ZDF ab heute für sechs Fälle (jeweils 20.15 Uhr) ein Kommissar der alten Schule. Im Dezember kommt mit der Serie „Der Kriminalist“ wieder mehr Tempo in den Freitagskrimi

Von Christian Buss

Kriminalhauptkommissar Martin Stolberg lebt offensichtlich in einer sehr aufgeräumten Welt. Neben seinem Bett steht keine geleerte Rotweinflasche und in seinem Bett liegt keine Frau, keine Geliebte und erst recht natürlich kein anderer Mann. Das heißt, eigentlich wissen wir gar nicht so genau, was da noch so in oder neben seinem Bett steht oder liegt. Denn die Kamera interessiert sich dafür einfach nicht. Sie sieht nur den Ermittler, der sich zur Eröffnung des neuen ZDF-Freitagskrimis trotz spätnächtlichen Anrufs kurz und korrekt mit seinem Nachnamen meldet. Die angemessen nüchterne Einführung eines Kommissars, der kein Privatleben hat. Jedenfalls kein sichtbares.

Stolberg ist ein Fernsehermittler der ganz alten Schule. Er geht sehr langsam – und trotzdem scheinen seine beiden jungen Assistenten ihn nie so recht einholen zu können, während sie ihm über seine Schulter Recherchedetails zuflüstern. Stolberg schreitet eher, als dass er geht, aber das kommt einem vielleicht auch nur deshalb so vor, weil man dem Titelhelden eine schöne Oldschool-Titelmelodie komponiert hat, die ein bisschen an Ennio-Morricone-Soundtracks erinnert. Und so schreitet der Kommissar also mit offenem, aber niemals flatterndem Mantel über die Brücken und durch die S-Bahn-Schächte von Düsseldorf, ohne dass sich ein Gefühl urbaner Getriebenheit einstellt. Und wenn er einen klugen Gedanken hat, das ist ein schöner Trick aus den Kindertagen des Krimifernsehens, fährt die Kamera auf sein Gesicht zu.

Minimalismus statt Aktionismus, Grüblertum statt Laborantentum: So was muss man sich erst mal trauen in Zeiten von „CSI“. Der Regisseur Matti Geschonneck, der uns in der letzten Zeit mit leisen Dialogfilmen wie „Mord am Meer“ oder „Silberhochzeit“ erfreut hat, konzipierte das neue Format mit Blick aufs Wesentliche. Der Schauspieler Rudolf Kowalski, der sonst witzig, wortgewandt und eben stets auch ein wenig rotweinselig als Fernsehehemann die Fernsehermittlerin Bella Block bekocht und betreut, spielt Stolberg entsprechend ironiefrei.

Die Gemächlichkeit erinnert wohl nicht ungefähr an legendäre Viertel-nach-acht-Krimis des Zweiten wie „Derrick“ oder „Der Alte“ – wo allerdings jede Ermittlungswendung noch mal für die ganz Dummen zusammengefasst wurde. Das gibt es bei „Stolberg“ nicht. Statt Redundanz herrscht hier das Prinzip Reduktion. Der Kommissar spricht nicht viel, jeder Satz ist so schnörkellos wie effizient. Einem traumatisierten Zugführer, dem in der heutigen Pilotfolge eine Frau auf die Gleise gesprungen ist, sagt er trocken: „Eine Lüge wird sie von diesem Albtraum nicht befreien.“

So fügt sich „Stolberg“ einerseits in die alten Patriarchenkrimis des ZDF, bereitet die Einstundenplots aber psychologisch präziser auf. Und das ist sehr viel erbaulicher als halbgare Modernisierungsversuche wie „Siska“ oder „Der Ermittler“, mit der das Zweite über das letzte Jahrzehnt davon abzulenken versucht hat, dass man mit der Freitagsprimetime eben jenen Spot bespielt, den man im Senderjargon immer noch „Kaminstunde“ nennt.

Nichtsdestotrotz: Wenn die sechs Folgen der ersten „Stolberg“-Staffel versendet worden sind, probiert man es mit einem weiteren Modernisierungsversuch und schickt die nächste neue Krimiserie ins Rennen. Für „Der Kriminalist“, von dem ab dem 8. Dezember ebenfalls sechs Fälle gezeigt werden, wird behutsam der klassische Einstundenplot mit den forensischen und technischen Neuerungen der TV-Kriminalistik aufbereitet. In der Titelrolle agiert Christian Berkel, der in seinen besseren Fernsehauftritten athletische Eleganz mit einem gewissen psychologischen Raffinement zu kombinieren versteht. Als „Kriminalist“ redet er sogar mit seinem Team (unter anderem Frank Giering). Auch wenn die Dialoge noch ein bisschen betulich wirken. Ein Beispiel: „Sie hat als Physikerin promoviert und dann endet sie als Prostituierte. Was ist denn da passiert?“ Powerpointpräsentationen und Pathologiebefunde machen solche Trutschigkeit aber wieder wett, und statt Morricone-Streicher gibt es natürlich nervöse Triphop-Beats. So was nennt beim ZDF den Puls der Zeit, schließlich hat man die Serie ja auch in der brodelnden Hauptstadt angesiedelt.

„Stolberg“ versus „Der Kriminalist“: Beim Zweiten hat man, so schwört die Redaktion, für beide Krimiserien Platz. So wartet man nicht die Quoten ab, sondern bereitet jetzt angeblich schon zweite Staffeln vor – sowohl für den in allen aktuellen Techniken versierten Hauptstadt-Teamplayer als auch für den kontemplativen Knobler aus Düsseldorf.