Trommeln für die neue Verfassung

Am kommenden Wochenende stimmen die Serben über ein neues Grundgesetz ab. Präsident und Premier warnen vor einer Katastrophe, sollte das Referendum scheitern. Kritiker bezeichnen das Dokument als einen „faulen Parteienkompromiss“

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

An jeder Ecke stehen in Belgrad Billboards, die zum Plebiszit für die neue serbische Verfassung am 28. und 29. Oktober aufrufen. „Stimmt für die neue Verfassung, stimmt für das Wohlergehen Serbiens“, heißt es da. Medien sind voll von Anzeigen, die für das neue Grundgesetz werben, das das Kosovo als untrennbaren Bestandteil Serbiens und Serbien als einen „Staat des serbischen Volkes und aller Bürger, die in ihm leben“, definiert. Für die aggressive Verfassungskampagne wurden aus dem Staatshaushalt Millionen an parlamentarische Parteien verteilt.

Solch eine Eintracht herrschte in Serbien schon lange nicht mehr. Die serbische orthodoxe Kirche, die katholische, islamische und jüdische Gemeinschaft, die Akademie der Wissenschaften und Künste, die Universität, bekannte Schauspieler und Sportler werben für die Verfassung. Politische Gegner haben vorübergehend das Kriegsbeil begraben. Neben Plakaten proeuropäischer Parteien stehen Poster mit dem Bild von Vojislav Šešelj, der für die Verfassung wirbt, die Kosovo verteidigen soll. Der wegen Kriegsverbrechen angeklagte Chef der ultranationalistischen „Serbischen Radikalen Partei“ (SRS) befindet sich im Gefängnis des UN-Tribunals in Den Haag.

Gemeinsam trommeln auch Serbiens Premier, Vojislav Koštunica, und Präsident, Boris Tadić, für die neue Verfassung, als ob das Scheitern des Referendums den Untergang Serbiens bedeuten würde. Das hätte „finstere und unabsehbare Folgen“, meint Koštunica. Wenn der souveräne Volkswille die territoriale Integrität Serbiens bestätige, werde sich der UN-Sicherheitsrat hüten, 15 Prozent des serbischen Territoriums zu „rauben“. Gemeint ist die nach Unabhängigkeit strebende, zu über 90 Prozent von Albanern bewohnte und von der UN verwaltete südserbische Provinz Kosovo.

Tadić legt den Akzent auf die europäischen Integrationsprozesse, die die neue Verfassung Serbien ermöglichen soll. Dagegen würde ein eventueller Misserfolg des Referendums eine langjährige institutionelle und poltiische Krise auslösen.

Der Verfassung müssen über 50 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. Damit nichts schiefgeht, werden die Wahllokale zwei Tage offen sein. Die Kosovo-Albaner wurden aus den Wahllisten gestrichen – mit der Begründung, sie würden das Plebiszit ohnehin boykottieren.

Bürgerliche Parteien und NGOs kritisieren das Fehlen einer öffentlichen Debatte über die Verfassung. Diese sei das Produkt eines faulen Kompromisses der Parlamentsparteien zu Lasten der Bürgerrechte. Zudem stelle sie eine Kontinuität zu der berüchtigten Verfassung von Slobodan Milošević dar. Dies sei schlicht ein Referendum über das Kosovo, heißt es.

Die Verfassung sei ein Kompromiss mit der Politik, die für Kriegsaggression, Verbrechen und die massive Verletzung von Menschenrechten verantwortlich sei, meint der Historiker Nikola Samardžić von der „Liberaldemokratischen Partei“ (LDP).

Der Parlamentspräsident der Vojvodina, Bojan Kostreš, rief zum Boykott auf, weil die neue Verfassung nicht die Autonomie der nordserbischen Provinz vorsieht, die Milošević zu Beginn seiner Herrschaft aufgehoben hatte. „Der Verfassung liegt nicht die Idee eines bürgerlichen Staates zugrunde, sondern die eines Staates der Serben und Minderheiten“, meint Aron Rods, Direktor der Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Die Justiz stehe unter der Kontrolle der Regierung und des Parlaments, was die europäische Integration Serbiens erschweren könnte. Außerdem sei die Verfassung zentralistisch und voller Widersprüche bei Minderheiten- und Glaubensrechten, die zwar garantiert sind, jedoch vom Parlament aufgehoben werden können

Solche Gegenstimmen gehen jedoch in der allgemeinen Verfassungseuphorie unter. Der unabhängige Journalistenverband der Vojvodina protestierte, weil das Staatsfernsehen fast ausschließlich in die Kampagne für die Verfassung eingespannt sei. In der aufgeheizten Stimmung werden die Bürger in Patrioten und Verräter eingeteilt, die nicht für Kosovo kämpfen wollen und Serbien nur Schlechtes wünschen. Zwei Aktivisten des Bürgerbundes (GSS), die zum Boykott des Plebiszits aufriefen, wurden verprügelt.