Der Tag der lauten Worte

UKRAINE Angela Merkel denkt über weitere Sanktionen nach. Russland wirft dem Westen Machthunger vor und strebt eventuell eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats an

„Russland will den dritten Weltkrieg anzetteln“

REGIERUNGSCHEF ARSENI JAZENJUK

MOSKAU/KIEW/BERLIN dpa/rtr | In der Ukraine-Krise bringen Russland und der Westen nach einer Eskalation der Gewalt auch wieder verstärkt die Diplomatie ins Spiel. Moskau will im Falle weiterer Gewalt im Nachbarland den Weltsicherheitsrat einschalten. US-Präsident Barack Obama wollte sich noch am Freitag in einer Telefonkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und weiteren europäischen Staats- und Regierungschefs beraten.

Nach einem Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte Merkel, angesichts mangelnder Fortschritte müsse man „im Rahmen der Stufe 2 weitere Sanktionen ins Auge fassen.“ Die zweite Stufe der Sanktionen sieht Visabeschränkungen und Kontensperrungen gegen Ukrainer und Russen vor, denen eine Mitschuld an der Eskalation vorgeworfen wird.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) regte unterdessen an, die Teilnehmer der jüngsten Genfer Gespräche, also Ukraine, Russland, EU und USA, sollten ihrer Vereinbarung gemeinsam Nachdruck verleihen, etwa durch eine gemeinsame Reise hochrangiger Vertreter in alle Landesteile.

Im Osten der Ukraine setzten Sicherheitskräfte am Freitag ihre „Antiterroroperation“ fort. So versuchten Sondereinheiten, die Stadt Slawjansk abzuriegeln. „Damit soll verhindert werden, dass die prorussischen Kräfte Verstärkung erhalten“, sagte der Chef des Antiterrorzentrums, Wassili Krutow, am Freitag in Kiew. Nach seinen Angaben zerstörten prorussische Separatisten einen Armeehubschrauber. Ein Scharfschütze habe auf dem Militärflugplatz in Kramatorsk in den Tank der am Boden stehenden Maschine geschossen.

Bei einer schweren Explosion an einem Straßenposten in der Stadt Odessa sind mindestens sieben regierungsnahe Sicherheitskräfte verletzt worden. Der Sprengsatz sei vermutlich von prorussischen Separatisten versteckt worden, sagte ein Polizeisprecher in der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Aktivisten hatten zahlreiche Kontrollposten vor Odessa eingerichtet, um moskautreuen Kräften den Zugang zu verwehren.

Der Kiewer Regierungschef Jazenjuk warf Russlands Präsidenten Wladimir Putin vor, mit einem Großmanöver sowie mit eingeschleusten „Terroristen“ eine „militärische Aggression“ auszuüben. „Russland will den dritten Weltkrieg anzetteln“, sagte Jazenjuk. Die Ukraine fordere die internationale Gemeinschaft auf, gemeinsam gegen Russland vorzugehen.

Die Führung in Kiew stehe zu ihrer Zusage, mit einer Verfassungsreform einzelnen Regionen mehr Rechte zuzugestehen, sagte Jazenjuk. Trotz der angespannten Lage sicherte Jazenjuk OSZE-Beobachtern freien Zugang zu allen Teilen des Landes zu. Der OSZE-Sonderbeauftragte Tim Guldimann sagte, die Mission solle jetzt rasch aufgestockt werden.

Russland strebt eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats an, falls erneut im Osten und im Südosten der Ukraine gewaltsam gegen die „Protestbewegung“ vorgegangen werde, sagte der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin dem Moskauer Staatsfernsehen am Freitag. Russlands Außenminister Sergei Lawrow warf dem Westen Machtspiele um die Ukraine vor. Es gehe der EU und den USA nur darum, Europas zweitgrößten Flächenstaat in ihren Einflussbereich zu ziehen. Russlands UN-Botschafter Tschurkin sagte, dass Moskau sich weiter die Möglichkeit eines Militäreinsatzes offenhalte, um russische Bürger zu schützen.

Staatspräsidenten und Vertreter von vier Exsowjetrepubliken und sechs EU-Staaten boten an, im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Voraussetzung sei aber, dass die Ukraine und Russland dem zustimmten, sagte der tschechische Präsident Miloš Zeman.

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