Mitteilungen aus Waschschüsseln

Mediengeschichte mal ganz anders: Der amerikanische Künstler Paul DeMarinis zeigt im Tesla seine preisgekrönte Installation „The Messenger“. In ihr lässt er E-Mails, die aus aller Welt empfangen werden, von seltsamen Apparaturen buchstabieren

VON TIM CASPAR BOEHME

Kleine Gummiskelette, 26 an der Zahl, hängen aufgereiht an galgenartigen Holzkonstruktionen. Ihre Schädel sind von Angelhaken durchbohrt, und jedes von ihnen trägt einen roten Poncho, auf dem ein Buchstabe des Alphabets steht. Plötzlich bewegt sich das Skelett mit dem J ruckartig nach oben, gefolgt von U und L. Am Ende ergibt der Totentanz „Julian is working on a show in Berlin“.

Die Installation „The Messenger“ des amerikanischen Künstlers Paul DeMarinis lässt E-Mails ziemlich fremdartig aussehen. Tatsächlich ist die Zeichenfolge kein Zufall, sondern die Verbindung von zeitgenössischen Kommunikationsmedien mit Apparaturen, die auf den ersten Blick nach alberner Spielerei aussehen, dabei aber reichlich Verweise auf die Anfänge der Nachrichtentechnik enthalten.

So verweisen die tanzenden Skelette der Installation, die in diesem Jahr auf der Ars Electronica mit der „Goldenen Nica“ ausgezeichnet wurde, auf den katalanischen Arzt Francisco Salvá, der im 18. Jahrhundert telegrafische Apparate konzipierte, die mittels Unterseekabeln Nachrichten in die Kolonien übertragen sollten. Dort hätten dann zum Beispiel Mexikaner durch Stromstöße zum Ausrufen einzelner Buchstaben gebracht werden sollen. Für „The Messenger“ empfängt ein im Tesla installierter Rechner E-Mails aus aller Welt und überträgt sie auf die von DeMarinis entwickelten Apparaturen. Die E-Mails werden nicht gespeichert.

Neben den Gummiskeletten gibt es emaillierte Waschschüsseln, die mit Soundchips verbunden sind und die einzelnen Buchstaben von menschlichen Stimmen aussprechen lassen – ein Verweis auf den amerikanischen Erfinder Elisha Gray, der mit seinen „washbasin receivers“ ähnliche Apparaturen entwickelte. An der Wand gegenüber schließlich steht eine Reihe von Gläsern mit grünlich leuchtendem Elektrolyt, in denen Buchstaben aus Metall schwimmen. Durch einen elektrischen Impuls gibt es eine chemische Reaktion, bei der sich an den Buchstaben Bläschen bilden wie bei einer ins Wasser geworfenen Brausetablette – ein Verfahren, das wiederum auf Salvá zurückgeht.

DeMarinis, der an der Stanford University eine Professur für elektronische Medien hat und in Silicon Valley lebt, beschäftigt sich schon seit längerem mit dem Verhältnis von Kommunikationsmedien zu ihrer eigenen Geschichte. So entwickelte er, als in den 80er-Jahren die CD plötzlich die LP zu verdrängen begann, Lasergeräte, die Schallplatten abtasten. „Jeder Arbeit ist ihre eigene Geschichte eingeschrieben“ sagt DeMarinis, und ihn interessiere es, diese Geschichte zurückzuverfolgen.

Bei „The Messenger“ aus dem Jahr 1998 wird nicht nur die abstrakte, körperlose Kommunikation per E-Mail im Rückgriff auf ihre telegrafischen Ursprünge sichtbar gemacht, sondern auch der oft beklagte Verlust an Gedächtnis thematisiert, der mit dem Internet einhergeht. Denn wer sich nicht die Mühe macht, die durchaus unterhaltsamen Codierungsformen der einzelnen Nachrichten zu entschlüsseln, nimmt buchstäblich sehenden Auges an diesem Vergessen teil.

DeMarinis, der, wie er sagt, die letzten zehn Jahre seines Lebens dem Thema Telegrafie gewidmet hat, will mit seiner Arbeit zudem veranschaulichen, was er die „Illusion der Telegrafie als Zweiwegemedium“ nennt. Er weist dem Besucher den Part des passiven Empfängers zu, der die anonymen Nachrichten, die er erhält, kaum verstehen kann. Ein Dialog mit den Absendern ist ausgeschlossen. Durch das Herstellen dieser Hierarchie wirft DeMarinis nicht zuletzt die Frage auf, wie demokratisch elektrische Kommunikation in ihrer Anlage tatsächlich ist.

Bis 5. November, Di.–So., 18–22 Uhr, Tesla, Klosterstraße 68