Nun feiern sie wieder

In ihrer „Langen Nacht“ am Wochenende präsentierte sich die Berliner Akademie der Künste einig und voller Tatendrang. Grass war da, und Präsident Klaus Staeck arbeitete derweil an der Revolution

VON NINA APIN

Die Mitgliederversammlungen der Akademie der Künste dürften die illustersten Klassentreffen der Bundesrepublik sein. Etwa zweimal im Jahr finden sich hochdekorierte Schwergewichte wie Günter Grass, Christa Wolf, Wim Wenders und Rebecca Horn in Berlin ein, lauschen dem Tätigkeitsbericht ihres Präsidenten, beraten über das Programm, ehren verstorbene Mitglieder und stimmen darüber ab, wer es wert ist, in den Kreis aufgenommen zu werden. Wie alle ernsthaften Klassentreffen finden diese Zusammenkünfte „ohne Anhang“, also unter Ausschluss der Öffentlichkeit, statt. Diese erfährt einen Tag später, auf der „Langen Nacht der Akademie“, wie es um den inneren Zustand der Künstlersozietät bestellt ist. Höhepunkt dieser Nächte, in denen sich die Akademie mit Diskussionen, Ausstellungen, Konzerten und Filmvorführungen selbst feiert, ist die traditionelle Treppenrede des Präsidenten. Die von den Stufen herab gesprochenen Worte sind gleichzeitig Gradmesser für die Stimmung in der notorisch zerstrittenen Künstlergemeinde und programmatische Positionierung.

Besonders gespannt war die Menge, die sich im Foyer des Düttmann-Baus am Hanseatenweg drängte, auf die Rede des neuen Präsidenten Klaus Staeck. Der 68-jährige Plakatkünstler übernahm im April den Vorsitz der in die Kritik geratenen Institution. Sein Vorgänger Adolf Muschg war im Streit über den Kurs der Akademie zurückgetreten. Bei seiner Antrittsrede hatte Staeck eine „kämpferische Akademie“ angekündigt, die sich vor Auseinandersetzungen nicht scheuen werde. „Wir werden die Rolle erfüllen, die uns das Gesetz auferlegt“, sagte er damals, „wir werden uns einmischen, wo immer es nottut.“

Die Erwartungen im sanft beleuchteten Foyer waren hoch. Würde Klaus Staeck ein Wort darüber verlieren, warum man sich am Hanseatenweg traf und nicht im repräsentativen, aber immer noch ungeliebten Neubau am Pariser Platz? Würde er über die SS-Enthüllungen des Akademiemitglieds Günter Grass sprechen, über die Unterschicht, Peter Handke und das Karlsruher Urteil, das Berlin zur Sparstadt macht?

Staeck erfüllte die Erwartungen mit Leichtigkeit, in einer pointenreichen und mit süffisanten Anspielungen angereicherten Rede. Er porträtierte sich als Präsidenten wider Willen, als donquijotesken Kämpfer, der den Schimmelpilz im Neubau niedergerungen habe, ständig an der inneren Stabilität und äußeren Wirksamkeit der Akademie arbeite und sich bemühe, beide seiner „gleichermaßen unverzichtbaren“ Häuser zu lieben. Im Rückblick auf seine turbulente erste Amtszeit erinnerte Staeck an das Akademiegespräch über „No-go-Areas“, das während der WM eine Kontroverse ausgelöst hatte, an die aus Terrorangst abgesetzte „Idomeneo“-Oper des Mitglieds Hans Neuenfels und den Wirbel um Günter Grass und Peter Handke. „Endlich bekomme ich wieder anonyme Briefe“, kommentierte der Grafiker trocken. Unter Gelächter führte Staeck die Ansprüche von Politik und Medien ad absurdum, die von der bundeseigenen Akademie stets mehr politische Positionierung fordern.

Er arbeite bereits an der Revolution, ließ der Präsident wissen. Ein geeignetes Arsenal von 16 Angriffswaffen habe er bereits im Akademiearchiv zusammengetragen. Doch nun fehlten ihm Ziele, für die er die Doppelflinte von Johannes R. Becher abfeuern könne. Das Prekariat? Hartz IV? Rechtsradikalismus oder das Ozonloch? In einer Zeit, in der sogar die taz „kein’ Bock auf Revolution“ habe, sei es schwer, sich zu engagieren. „Es gibt Zeiten, in denen selbst das Bewahren revolutionär ist“, schloss Staeck – was man durchaus als Kommentar zum Karlsruher Spar-Urteil verstehen konnte. Die Treppenrede signalisierte: Die Zeit des Streits ist vorbei. Die Akademie hält wieder zusammen, gegen die Ansprüche der Politik und die Widrigkeiten des Zeitgeschehens.

Eine neue Lust an politischer Positionierung konnte, wer wollte, im Programm der Langen Nacht entdecken. Neben einer Podiumsdiskussion zum Thema „Alle Kunst ist politisch“ wurde eine Filmdokumentation über eine Reise entlang der palästinensisch-israelischen Grenze gezeigt, die Sektion Baukunst lud zu einem Gespräch über Architektur und Stadt. Im Einzelnen wich der behauptete politische Impetus aber doch der gewohnten Akademiebehäbigkeit. Es gab Wein und Häppchen, schwatzende Gruppen begutachteten die Skulpturen des Bildhauers Tony Cragg. Voll war es nur bei der Podiumsdiskussion, wo Günter Grass mit dem Pariser Operndirektor Gerard Mortier, dem Filmemacher Andres Veiel und dem ehemaligen Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, über Kunst und Politik diskutierte. Grass sprach mit leiser Stimme von der NS-Hypothek, die auf Künstlern seiner Generation laste, direkter wurde er nicht.

Die Diskussion dümpelte dahin, Lichtblicke waren die ironischen Bonmots von Orlando. „Wir müssen denken wie die Antike und sprechen wie die Moderne“, rief er. Der schönste Kommentar, der über den Zwiespalt zwischen Auftrag und Selbstverständnis der Akademie fiel.