Berlin ist nicht Buenos Aires

Argentinien hat 2001 seine Schuldzinsen einfach nicht bezahlt. Für Berlin hätte dieser Schritt katastrophale finanzielle Folgen, wenn ihn der Bund überhaupt zuließe. Denn wer ein unzuverlässiger Schuldner ist, kriegt nur teure Kredite

Für den Berliner Attac-Aktivisten Carl Waßmuth ließe sich das Berliner Schuldenproblem leicht lösen. Berlin könnte – ähnlich wie Argentinien 2001, das damals seine Schulden beim Internationalen Währungsfonds nicht bediente – seine Zinszahlungen an die Banken stoppen, bis der Haushalt ausgeglichen ist. Dann würde sich der Senat mal mit den Richtigen anlegen, nämlich „mit den reichen Banken, nicht mit den armen Berlinern“, so Waßmuth.

Berlin ist derzeit mit über 60 Milliarden Euro verschuldet und muss allein für die fälligen Zinszahlungen immer wieder neue Schulden aufnehmen. Jüngst hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Entschuldungshilfen für Berlin verweigert. Warum spielt die argentinische Lösung bei der Diskussion um die Berliner Haushaltskrise keine Rolle? Nicht einmal die WASG oder der umtriebige FU-Professor Peter Grottian bringen diese Idee offensiv in die Debatte. Vielleicht liegt das daran, dass die Einstellung der Zinszahlungen als Ultima Ratio gelten dürfen – ein Mittel, zu dem man greift, wenn gar nichts anderes mehr geht. Und ganz materiell stellt sich die Frage, ob sich Berlin, von wo heute sicher keine Weltrevolution ausgeht, mit einem Schwellenland auf eine Stufe stellen sollte. Immerhin geht es einem Großteil der Argentinier heute materiell schlechter als vor dem Schuldenboykott.

In der Berliner Finanzverwaltung hält man von Überlegungen eines Zinszahlungsboykotts rein gar nichts. „Wenn wir darüber auch nur laut nachdenken würden, würde uns das teuer zu stehen kommen“, so Behördensprecher Matthias Kolbeck. Schließlich seien alle öffentlichen Schuldner in Deutschland – Kommunen, Länder, der Bund und öffentliche Unternehmen – sehr zuverlässige Kreditnehmer, die ihren rechtlich bindenden Verpflichtungen penibel nachkämen. „Würde sich daran etwas ändern, würden wir unsere Kredite nicht mehr zu günstigen Konditionen bekommen.“ Denn wer einem eventuell unzuverlässigen Schuldner Geld leiht, schlägt – dem Risiko entsprechend – bei den Zinsen drauf.

In einem solchen Szenario würde sich Berlins Haushaltsnotlage dramatisch verschärfen: Jede – weiterhin nötige – neue Kreditaufnahme wäre deutlich teurer als bisher. Auch das Managen des riesigen Schuldenberges würde sich verteuern. Denn Berlin nimmt jährlich deutlich mehr Schulden auf, als es in der so genannten Nettokreditaufnahme ausweist. Mit solchen neuen Schulden werden alte abgelöst, und auch solche Umschuldungskredite würden sich verteuern.

Zudem wäre fraglich, ob Berlin einen solchen – theoretisch möglichen – Schritt überhaupt gehen könnte. Das harte Karlsruher Urteil stellt nämlich auch nicht in Frage, dass Berlin Teil des gesamtdeutschen Finanzsystems ist; es sagt nur, dass Hilfen nur im Falle eines Notstands zu geben sind. Im Ernstfall, etwa bei einer Naturkatastrophe, würden Bund und Länder Berlin nach wie vor beistehen. Das ist auch der Grund, warum die Finanzmärkte, auf denen unter anderem Schulden gehandelt werden, auch nach dem Karlsruher Urteil gelassen geblieben sind. Würde Berlin nun aus der gesamtdeutschen Finanzarchitektur ausscheren, würde es dieses für alle existenzielle System gefährden. In einem solchen Fall könnte der Bund eingreifen und Berlin zum Schutze des gesamtstaatlichen Interesses daran hindern.

Wo aber hat Berlin überhaupt Schulden? Zu einem großen Teil nimmt Berlin tatsächlich bei Banken Schulden auf. Darüber hinaus gibt Berlin an den Kapitalmärkten Anleihen aus, die von institutionellen Anlegern aus Deutschland, Europa und der Welt gekauft werden – zum Beispiel Versicherungen, Fonds, aber auch ausländische Staatsbanken. Wer also eine Lebensversicherung hat, die ihr Geld in der Regel in sicheren Staatspapieren anlegt, könnte so ein indirekter Gläubiger Berlins sein. Allerdings gibt Berlin – im Unterschied zum Bund, der Bundesschatzbriefe vertreibt – direkt keine Wertpapiere an Kleinanleger aus. Dies würde die Kapazitäten der mit dem Schuldendienst beschäftigten Abteilung in der Finanzverwaltung sprengen. Die hat ja mit dem Schuldenberg auch schon genug zu tun.

RICHARD ROTHER