Die blutige Mär

Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle gefällt sich beim Weltcup-Auftakt weiter in der Opferrolle

DÜSSELDORF taz ■ Evi Sachenbacher-Stehle muss also wirklich froh sein, dass der Weltskiverband Fis, ein paar einfallsreiche deutsche Langlauffunktionäre und Marketingstrategen auf die Idee gekommen sind, den Weltcup am Rheinufer starten zu lassen. Die Uferpromenade Düsseldorf liegt gerade einmal 39 Meter über dem Meeresspiegel. Und Sachenbacher-Stehle muss nach eigener Ansicht in dieser Tieflage keine Furcht vor zu viel Hämoglobinkonzentration im Blut haben. Die Läuferin hat versucht, in die Rolle des Opfers zu schlüpfen, das der Willkür der Funktionäre ausgesetzt ist.

Weil sie in Höhenlagen Angst vor überhöhten Hämoglobinwerten haben müsse, werde sie auf das beliebte und als besonders effektiv geltende Höhentraining weitgehend verzichten, kündigte sie an. „Im Endeffekt“, so teilte sie mit, „muss ich jetzt auch in diesem Winter vor jedem Rennen darum bangen, ob meine Werte auch tatsächlich unterhalb der Schutzsperrengrenze liegen.“ Diese Aussagen legen nahe, dass der Deutsche Skiverband (DSV) und die Athletin immer noch an der Meinung festhalten, Sachenbacher-Stehles Werte seien genetisch bedingt und daher in extremer Höhenlage eben generell zu hoch.

Dass der ehemalige Fis-Mediziner Bengt Saltin diese Argumentation mit umfangreichem statistischem Material widerlegt hat, dass auch die jetzige Garde der Fis-Mediziner keine Beweise für die Version der ererbten Blutkörperchenkonzentration sah – das alles scheint keine Rolle zu spielen in Evis Welt. Die Situation sei unbefriedigend für sie und das ganze Team, beteuert sie. „Aber es kann nicht sein, dass eine Athletin, die sich nie irgendetwas hat zu Schulden kommen lassen, durch bestimmte Regeln auf einmal im Nachteil gegenüber anderen Sportlern ist“, fährt sie fort, als sei alle Ungerechtigkeit der Welt auf ihren schmalen Schultern abgeladen worden. Eine Erklärung für die zu hohen Werte, die vor den Olympischen Spielen in Turin bei ihr gemessen wurden und zu einer fünftägigen Schutzsperre geführt hatten, liefert sie allerdings nicht. Ein zu hoher Hämoglobinwert zeigt eine zu dichte Konzentration roter Blutkörperchen an und kann ein Hinweis auf Doping sein. Die Fis hilft sich damit, dass sie auf die gesundheitlichen Risiken wie etwa Thrombose-Gefahr hinweist. Deshalb wird der Athlet für einige Tage gesperrt.

Nach dem Rennen – Sachenbacher-Stehle ist Siebte geworden - erläutert sie, dass sie „die Sache“ aus dem Kopf habe verbannen können, als sie am Start stand. Das feierfreudige Publikum in Düsseldorf wurde mit komplizierten Erläuterungen zu Hämoglobin und Schutzsperre verschont, laut jubelte es der Oberbayerin zu, die stolz mit rosafarbenem Stirnband und gleichfarbenen Handschuhen ihre Runden lief und anschließend zum x-ten Mal vom „besonderen Flair“ Düsseldorfs im Herbst und bei Nieselregen schwärmen durfte. „Ich bin echt überrascht“, gab sie zu Protokoll. Schließlich liege ihr so eine Sprintstrecke mit nur minimal schwierigen Anstiegen „überhaupt nicht“, und eine Bronchitis habe sie auch noch auskurieren müssen in der Vorwoche. Und natürlich, zusätzlich „beflügelt“ habe sie die Post von der Fis auch nicht gerade. Dabei lächelt Evi Sachenbacher-Stehle wieder wie in der Zahnpasta-Werbung.

KATHRIN ZEILMANN